Die eigentliche Magie des Films macht nicht die Faszination der Bewegung aus, stärker noch als bei der statischen Fotografie untermauert die von der Kamera in „Echtzeit“ eingefangene Mimik und Körpersprache die willkommene Illusion der ewigen Jugend. Was für Filmstars gilt, ihre Frisuren, ihre Moden, das gilt selbstverständlich auch für hunderte von Völklingern, die die professionell gekurbelte Stummfilmkamera 1928 auf 35 mm Nitrozellulosefilm bannte.
Es ist keine Selbstverständlichkeit, das Mode, Bärte und Gehabe der Großeltern gewissermaßen „live“ über die Leinwand flimmern. Und viele, viele der fremden Gesichter bekommen durch den Text von „Jupp“ Cornelius einen vertrauten Namen und gelegentlich sogar eine Funktion.
Als es für die Familie Theis Mitte der 60er Jahre an die Räumung der inzwischen viel zu großen „Villa“ in der Hohenzollernstraße ging, tauchte im Keller ein unscheinbarer Blechkasten mit allerlei hoffnungslos verrosteten Filmdosen auf. Nichts Besonderes in einem Kinohaushalt und doch stellte sich heraus, dass diese altertümlichen Behälter nahezu unversehrt einen faszinierenden und im wahrsten Sinn des Wortes bewegenden Schatz bargen. 40 Jahre zuvor hatte der damals noch jugendliche Senior Sebastian Theis einen erfahrenen Straßburger Kameramann damit betraut, den bombastischen Festumzug zum 50jährigen Bestehen des Völklinger Turnvereins 1878 zu dokumentieren.
Völklinger Straßen und Plätze, völlig unbeabsichtigt breitet sich ein „Sittengemälde“ der späten 20er Jahre vor dem Betrachter aus. Die relative Ruhe vor dem Sturm der Weltwirtschaftskrise wird spürbar, gutbürgerliche Befindlichkeit, noch mit kaiserzeitlichem Habitus, die Präsenz der „Ordnungsmacht“ (der allgegenwärtige Werkspolizist) aber auch synchrone Massenturnübungen auf freiem Feld, die den unbefangenen Betrachter geradezu fatal an die Jahre nach 1933 erinnern mögen, in Wahrheit aber ein spätes Vermächtnis Turnvater Jahns inmitten der Weimarer Republik waren.
Die uniformierte Kapelle der Röchlingwerke würde indessen stumm durch das Bild marschieren, wenn nicht die Enkelgeneration eben dieser Musiker, in der historischen Turnhalle an der Gatterstraße im Sommer 1968 die Musik für die geplante Vertonung des Filmsauriers eingespielt hätten. Günther Theis ließ das empfindliche Filmdokument auf eigene Kosten professionell sichern, schneiden und vertonen.
Längst ist vergessen, das der ca. 30 minütige Film 1969 im „Residenz-Theater“ öffentlich, und für den überschaubaren Betrag von einer D-Mark pro Besucher, aufgeführt wurde.
Das Interesse hielt sich seinerzeit angesichts der Konkurrenz von Studentenunruhen und Mondlandungen in Grenzen. Das galt sowohl für die Völklinger Bürger als auch ihre politische Vertretung denn obwohl hochgelobt, wurde das einzigartige Dokument in den folgenden Jahren ein weiteres Mal vergessen.
Das Dokument befindet sich heute im Bundesfilmarchiv unter dem Siegel des Rechteinhabers Günther Theis. Das feuergefährliche Originalmaterial wurde in einer klassischen Nacht und Nebelaktion als Gefahrguttransport nach Berlin gebracht, dort auf modernen 35mm Sicherheitsfilm kopiert und so für die Nachwelt konserviert. Das brennbare Original hingegen wurde vermutlich mit der Rigorosität der End60er vernichtet.
Wir freuen uns, dass Günther Theis die Erlaubnis gegeben hat, den historischen Film in der zeitgemäßen Form einer DVD unserer kleinen Publikation zur Völklinger Kinogeschichte beizugeben. 84 Jahre nach Entstehung der Bilder ermöglicht damit ein aktuelles technisches Medium die Chance die heimischen Computer und TV-Geräte zu bespielen und auf diese Weise genau jene private Atmosphäre zu schaffen, die wohl Voraussetzung zur intensiven Aufnahme dieses einmaligen Dokuments ist.