„Möge auch im Vaterlande bald die Zeit kommen, wo der Triumphwagen des Gewerbefleißes mit rauchenden Kolossen bespannt ist und dem Gemeinsinne die Wege bahnet.“

1825, Unternehmer und Visionär Friedrich Harkort in der Zeitschrift „Hermann“

Vorwort zum Geislauterner Dampfwagen

Die heutige Welt ist von Technik bestimmt, die vielfach unseren Alltag erleichtert und uns als selbstverständlich erscheint. Wir fragen uns nicht mehr, wie alles entstanden ist, wie viele Versuche, wie viele Visionen hat es gegeben bis eine Aufgabe endlich gelöst wurde. Viele mühsame Wege sind in Vergessenheit geraten.

Bei dem vorliegenden Projekt geht es um eine für unsere Zeit selbstverständliche, alltägliche Einrichtung und ihre Anfänge, die Eisenbahn. Heute umfasst das Schienennetz in Deutschland rund 34.000 Kilometer; die Eisenbahn stellt einen zentralen Bestandteil unserer Verkehrsinfrastruktur dar. Sie befördert täglich über fünf Millionen Fahrgäste. Viele Menschen wissen vermutlich, dass die Eisenbahn in England vor etwa 200 Jahren erfunden wurde und dass die erste deutsche Bahnlinie vor rund 180 Jahren mit der aus England importierten Lokomotive „Adler“ zwischen Nürnberg und Fürth eröffnet wurde.

Was kaum jemand weiß und was auch von den Experten oft nur in einem Nebensatz erwähnt wird, ist das halbe Dutzend mehr oder weniger erfolgreicher Eisenbahnprojekte, die es vor Nürnberg-Fürth in den damaligen Gebieten des Deutschen Bundes gab. Eines davon war die Geislauterner Eisenbahn. Hier sollte beinahe zwei Jahrzehnte vor dem „Adler“ eine Dampflokomotive, die preußische Ingenieure (Oberbergamts- Assessor C.H.V.Eckardt und Hütteninspektor der Königlichen Eisengießerei Johann Friedrich Krigar) nach dem Vorbild englischer Maschinen gebaut hatten, Kohlenwagen von einem Bergwerk nahe Saarbrücken zur Schiffsverladung nach Luisenthal an die zweieinhalb Kilometer entfernte Saar ziehen. Doch das Projekt scheiterte. Es kam nicht einmal zu einem richtigen Probebetrieb. Der Dampfwagen funktionierte auch nach jahrelangen Versuchen nicht, wurde abgestellt und 1834, ein Jahr vor Eröffnung der Nürnberg-Fürther Eisenbahn, verschrottet. Vorher war er noch zum Verkauf angeboten worden, doch niemand wollte ihn haben. Selbst die Nürnberg-Fürther Eisenbahngründer, die genau zu dieser Zeit im gesamten Deutschen Bund auf der Suche nach einer Dampfl okomotive für ihre Strecke waren, nahmen keinerlei Notiz von ihm; jedenfalls findet sich in den ausführlichen Protokollen der Gesellschaft keine Zeile über den Dampfwagen aus Geislautern.

So könnte man sich fragen, warum dieses technische Artefakt, das sich als nicht praxistauglich erwiesen hat, nun rekonstruiert werden soll. Im DB Museum ist die Replik eines ähnlichen technischen Fossils bereits ausgestellt: Der Nachbau des ersten Dampfmobils der Welt, konstruiert im Jahr 1769 von Nicholas Cugnot. An seinem Beispiel kann man die mühsame Suche nach technischen Lösungen für Kraftübertragung, Bremseinrichtungen und effiziente Energieerzeugung sehr anschaulich nachvollziehen. Hier wird deutlich: Nicht nur in den Zeugnissen erfolgreicher Entwicklungen, sondern auch in den historischen und technischen Irrwegen wird die Offenheit der Situation zu Beginn einer technischen Innovation sichtbar. Sie zeigen den mühsamen Weg des Experimentierens, der Erfahrung, des „Try and Error“, bis eine Technologie reif für die Praxis ist. Der Geislauterner Dampfwagen mutet im Vergleich zu den Maschinen, die, wie die Stephenson-Lokomotiven, der weiteren Entwicklung die Richtung vorgegeben haben, wie das Beispiel einer von der Evolution aussortierten Spezies an: Eine Zahnradlokomotive mit chronisch undichtem Kessel, höchstens zwei bis drei Kilometer pro Stunde Geschwindigkeit und gerade einmal fähig, gut vier Tonnen Kohlen zu schleppen. Bei aller Unzulänglichkeit würdigt eine Rekonstruktion des Dampfwagens die Akteure dieses sehr frühen Versuchs, eine Dampfeisenbahn zu errichten und zeigt darüber hinaus, wie ein alternatives Konzept zu der uns vertrauten Dampfeisenbahn beschaffen war. Wie am Beispiel des Cugnotschen Dampfmobils kann an der Replik der zweiten von Krigar konstruierten Lokomotive Technikgeschichte in bestem Sinne anschaulich gemacht werden und verdient somit alle Unterstützung. Ich wünsche dem Projekt viel Erfolg und viel Beachtung, nicht nur in der Fachwelt, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit.

Russalka Nikolov
Direktorin des DB Museums

Mitwirkende

Herausgegeber: Stadt Völklingen, Volkshochschule
Zusammengestellt von: VHS-Arbeitskreis „Alles Mythos oder was?“ – Die Völklinger Mythenjäger
Konzeption und Redaktion: Hendrik Kersten
Texte: Susanne Rist, Hendrik Kersten
Bildnachweis: Susanne Rist, Michael Samsel, Horst Schillinger