Der Besitz eines Paars spezieller Duellpistolen gehörte im 19. Jahrhundert genau so zur klassischen Herrenausstattung gehobener Stände wie der obligatorische Hut oder die goldene Taschenuhr. Das mag zu Beginn des 21. Jahrhunderts einigermaßen befremdlich klingen, doch dieses krude Überbleibsel des ritterlichen Zweikampfs konservierte weltweit den rigiden Ehrenkodex mit dem sich der Stand derer, die sich wechselseitig für „satisfaktionsfähig“ erachteten, gegen Emporkömmlinge aller Couleur und insbesondere Angehörige „niederer“ Stände abschottete. Obwohl alle europäischen Mächte ihr postuliertes Gewaltmonopol gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung durchzusetzen trachteten, indem sie auch das Duellwesen, insbesondere die vorsätzliche Verletzung oder gar Tötung eines Kontrahenten unter Strafe stellten, geschah das tatsächlich eher halbherzig. In Preußen wurden Beteiligte wie Überlebende ausgetragener Ehrenhändel (sofern man überhaupt ihrer habhaft werden konnte) mit „Festungshaft“ bedroht. Das klingt dramatischer als es tatsächlich war, denn auch hier griff das überkommene „Herrenrecht“. Die Haftbedingungen waren im Vergleich zum konventionellen Strafvollzug deutlich entschärft und eben nicht „ehrenrührig“. Auch im Deutschen Reichsstrafgesetzbuch von 1871 wurde dem „Zweikampf mit tödlichen Waffen“ ein lauer Sonderstatus eingeräumt, der den Duellanten „ehrenvolle Motive“ unterstellte. ,,Custodia honesta“. Die alltägliche europäische Duellpraxis lässt sich an vielerlei zeitgenössischen Beispielen aufzeigen, die, je nach Bedeutung der Beteiligten, heftige Wellen in der zeitgenössischen Presse zeitigten. Übrigens hatte das wenig bis gar nichts mit den zeitgenössischen Verhältnissen im „wilden Westen“ der USA gemeinsam. Nur zur Einordnung, die legendäre Schießerei am „OK Corral“ in Tombstone fand im Oktober 1881 statt. Prominente, wie das spektakuläre Duell des französischen Politikers Clemenceau 1892, erregten internationales Aufsehen, regionale Fälle wie das Duell der beiden verfeindeten Bürgermeister von Alt Saarbrücken und Sankt Johann 1894 waren immerhin eine Kurzmeldung wert.

Die Saarbrücker Zeitung am 22. Oktober 1894:
„Ein Duell fand, wie wir soeben von zuverlässiger Seite vernehmen, heute morgen in der Nähe von Sankt Arnual zwischen den Bürgermeistern der beiden Städte Saarbrücken und Sankt Johann, den Herren Feldmann und Dr. Neff statt. In demselben wurde Letzterer am Kopf getroffen.“

Dr. Neff überlebte und beide gingen für einige Wochen hinter Gitter. Gegnerschaft und Konkurrenz im Berufsleben konnte sich im 19. Jahrhundert der ganzen, auch heute noch gebräuchlichen Bandbreite einschlägiger Gemeinheiten bedienen, Intrigen, giftige Verleumdungskampanien in den einschlägigen Presseorganen und schließlich kompromissloser Wirtschaftskrieg.

Eine Forderung zum Duell glich demgegenüber einem unausweichlichen Einstieg in eine ritualisierte Gegnerschaft, deren ungeschriebene Regeln von der Gesamtheit der potentionell betroffenen Herren auf das sorgfältigste überwacht wurden. Sich in diesem Kreis als „ehrlos“ zu erweisen, war gleichbedeutend mit fataler gesellschaftlicher Ächtung. Im umgekehrten Fall konnte man, ungeachtet aller sonstigen Verfehlungen zumindest damit rechnen dazu zu gehören.

Vor diesem Hintergrund sind Duelle, die tatsächlich nie stattfanden, fast genauso aufschlussreich wie solche, die entweder im Gefängnis oder im Sarg endeten. Das waren im Übrigen durchaus realistische Perspektiven, die Zeiten, da ein Pistolenduell auf 25 Meter nicht übertrieben gefährlich war, hatten sich im Zeitalter der Präzisionsmechanik gründlich erledigt. Kaum etwas illustriert das abgehobene Bewusstsein der quasiaristokratischen Wirtschaftselite vor 1900 besser als eine, geradezu absurd anmutende Forderung auf Leben und Tod.

Und doch traf genau eine solche, üblicherweise überbracht von einem Sekundanten, um das Jahr 1890 im Kontor der Gebr. Röchling ein. Absender war der frisch geadelte und rund ein Jahrzehnt jüngere Karl Ferdinand von Stumm.

„Karl der Große von Saarabien“ persönlich. Carl Röchling, der Adressat, wird nicht schlecht gestaunt haben! Und er wird über einen Mittelsmann, man sprach selbstverständlich nicht miteinander, seine negative mündliche Antwort umgehend übermittelt haben. Richard Nutzinger, Biograph und zugleich Kronzeuge dieser delikaten Episode, kolportiert als Grund für die Absage den Hinweis auf sein hohes Alter. Tatsächlich war Carl zu diesem Zeitpunkt bereits über 60 Jahre alt. Eine nützliche Tatsache zweifellos doch Ehrenhändel kannten keine Altersgrenze und Carl als rüstiger ehemaliger Husarenoffizier wusste zweifellos mit einer Pistole umzugehen. Es wäre aber einfach absurd gewesen die Vorherrschaft und Meinungsführerschaft innerhalb der saarländischen Eisenindustrie per Gottesurteil ausschießen zu wollen, niemand wäre erstaunter gewesen als Karl Ferdinand von Stumm wenn Carl Röchling dem zugestimmt hätte. Warum also dieses romantisch anmutende Prozedere? Carls persönlicher Mut konnte nicht zu Debatte stehen und das Risiko bei einem „Shoot out“ getötet zu werden stand in keinem Verhältnis zu den möglichen Vorteilen?

Carl Röchling

Carl Röchling

Karl Ferdinand von Stumm

Karl Ferdinand von Stumm

Die beiden Carls verstanden sich in diesem Fall ganz ohne Worte, denn sie gehörten, bei allen sorgfältig gepflegten Unterschieden zu ähnlichen gesellschaftlichen Klassen. Die Forderung Stumms war Höhe- und zugleich Wendepunkt eines aussichtslosen, frontalen Konflikts der beiden Protagonisten um Einfluss, Besitzstandswahrung und satte Profite. Alle legalen und halblegalen Mittel waren ausgeschöpft und der Freiherr von Stumm musste erkennen, dass der lästige Emporkömmling unverrückbar angekommen war. „Teile und herrsche“, der vorgebliche „Fehdehandschuh“ wird von Carl richtig als „Aufnahme“ in den erlauchten Zirkel der obersten Wortführer verstanden. Carl Röchling ist also „satisfaktionsfähig“! Nicht das er selbst jemals daran gezweifelt hätte, aber für Stumm war die formelle Forderung ein eindeutiges Zugeständnis. Selbstverständlich waren für nüchtern kalkulierende „Gründerväter“ damit die eigentlichen Konflikte noch lange nicht ausgestanden, aber es bahnte sich parallel zu den Niederungen wirtschaftlicher Konkurrenz eine wechselseitige Akzeptanz von bisher heiß umstrittenen Standpunkten an. Carl tendierte politisch unter dem Eindruck persönlicher Erfahrungen inzwischen deutlich nationalistischer, von Stumm freundete sich mit den zukunftsweisenden verkehrspolitischen Konzepten seines Widersachers an. Bis zur endgültigen Beseitigung gegenseitiger wirtschaftlicher Hemmnisse sollten freilich noch Jahre ins Land gehen. In diesem Zusammenhang ist ein wunderbares röchling´sches Familienhistörchen („Guzzje“) recht aufschlussreich. Die Duellierungsandrohung der beiden Erzrivalen gefiel der Familie Röchling grundsätzlich nicht:

Frau von Gemmingens Großvater (Hermann von Gemmingen-Hornberg) war damals „kaiserlicher Bezirkspräsident von Lothringen/Elsaß“ mit Sitz in Forbach. Er lud zu einer großen Abendgesellschaft u.a. auch Carl Röchling und Karl Ferdinand von Stumm ein, die er beide gut kannte. Sie kamen beide, bewahrten Contenance und blieben in der Gesellschaft unauffällig. Irgendwann am Abend waren die beiden „Kampfhähne“ auf einmal verschwunden. Mann fand sie schließlich in Frau von Gemmingens Nähzimmer mit einem Cognac zusammen sitzend und sich auf Augenhöhe von Geschäftsleuten unterhaltend.

Ellenruth Freifrau zu Gemmingen-Hornberg, 2013