Ein inszeniertes „Volksfest“
Die Saarbrücker Zeitung meldet: Völklingen, den 21. Februar 1894
Jubiläumsfeier: Am 25. Februar feiert Herr Kommerzienrat Karl Röchling das Jubiläum seiner 50jährigen Geschäftstätigkeit. Mit den Vorarbeiten zu diesem Feste ist bereits begonnen und können wir unseren Lesern ein annäherndes Programm mitteilen. Am Vorabend Samstag, den 24. Februar findet in Völklingen ein Fackelzug statt, welcher sich gegen 8:00 Uhr durch die „Kaiser Wilhelm-, Bismarck-, Post- und Hüttenstraße bewegen wird. Die Aufstellung des Zuges geschieht im Stahlwerk am Kalkringofen und unter den Klägen der Musikkapelle des 70. Infanterie-Regiments bewegt sich der Zug durch die oben angeführten Straßen bis zu Wohnung des Herrn Louis Röchling, woselbst Herr Kommerzienrat Karl Röchling anwesend sein wird. Hier bildet ein Teil der Arbeiter Spalier und ein Sängerchor, aus Arbeitern der Hütte bestehend, wird einige Lieder vortragen, wonach der Zug ins Stahlwerk marschiert und sich dann auflöst. Die Arbeiter begeben sich nun in die ihnen zugewiesenen Lokale, von Gastwirt Mang, Ries, Schmidt und Kohler-Preil und die in Wehrden wohnenen Arbeiter zum Gastwirt Koch und Klein Uwe, woselbst sie bewirtet werden, während dessen die Musik konzertirt. In genannten Lokalen ist an diesem Abend jedoch nur für die betreffenden Arbeiter erst um 1:00 Uhr Feierabend. Die Beamten der Hütte sowie die anwesenden Beamte von dem anderen Etablissements vereinigen sich in dem neu hergestellten Saale des Hüttencasinos zu einem Bierkommers.
Das erste groß angelegte Fest in der neueren Geschichte Völklingens galt dem Mann, der die dörfliche Ansiedlung innerhalb weniger Jahre in die industrielle Gegenwart katapultiert hatte. Kein Geburtstag, Carl Röchling wurde erst 1897 siebzig Jahre alt, auch nicht das Gründungsjubiläum der Völklinger Hütte, das zu diesem Zeitpunkt bereits 12 Jahre zurücklag…
Carl feierte, was ihn wohl persönlich mit Stolz erfüllte, sein Arbeitsleben. „50 Jahre Geschäftstätigkeit“ vom Eintritt in die Kaufmannslehre bis zum Patriarchen eines Konzerns, dessen Anteile zu 50% sein privates Eigentum waren (!).
Carl Röchling zog Bilanz, ein Leben für die Arbeit.
Charleys Tante
Die Saarbrücker Zeitung vom 27.02.1894 schrieb:
…„die Feier schloß gegen 7 1/4 Uhr, worauf sich die ganz Festgesellschaft ins Theater begab, wo man Charleys Tante gab.“
Das Saarbrücker Theater im alten „Casinogebäude“, Bühne und Zuschauersaal befanden sich im ersten Stock
Carl Röchling ging also mit seinen geladenen Gästen anlässlich seiner Jubiläumsfeier ins Theater und schenkte ihnen etwas Heiterkeit. „Charleys Tante“, ein gefeiertes und erfolgreiches komödiantisches Stück von Brandom Thomas, wurde erstmals am 29. Februar 1892 im Theatre Royal in Bury St. Edmunds aufgeführt, es folgten 1.500 Vorstellungen und weitere Vorstellungen im Oktober in London. Im Herbst 1893 startete Charleys Tante am Broadway und lief dort insgesamt vier Jahre. Die Komödie wurde in über 100 Sprachen übersetzt, lief auch als Musical am Broadway und wurde mehrfach verfilmt. Erstmalig 1915 als Stummfilm mit Oliver Hardy später, 1925, mit Sid Chaplin, einem Halbbruder von Charly Chaplin, in der Hauptrolle. Im deutschsprachigen Raum sind die Verfilmungen mit Heinz Rühmann (1955) und Peter Alexander (1963) sowie die Theateraufführung im Kölner Millowitsch-Theater bekannt. Bei der neuesten Verfilmung 1996 spielte Thomas Heinze die Hauptrolle.
Mythenjäger meet Grapevinevideo
Eine Reise durch Carl Röchlings Leben in diesem Booklet, das Feiern seines Dienstjubiläums mit dem Reenactment am 12. Oktober 2013 – da muss natürlich auch Charleys Tante mit dabei sein. Die Mythenjäger haben es möglich gemacht, dass der legendäre Stummfilm von 1925 mit Sid Chaplin wieder in Deutschland käufl ich zu erwerben ist. Mit der Lizenz für 500 Kopien sind die Mythenjäger die Einzigen, diesen Film in Deutschland anbieten, Dank der Unterstützung von Grapevinevideos aus den USA (www.grapevinevideos.com).
Worum geht’s?
Die beiden Studenten Charley und Jack benötigen, wie das damals üblich war, für eine geplante Verabredung mit ihren Freundinnen Amy und Kitty, eine Anstandsdame. Als die dafür vorgesehene Donna Lucia d’Alvadorez, Charleys Tante, nicht rechtzeitig eintrifft, muss ein Ersatz her. Die beiden überreden ihren Freund Fancourt Babberly („Babbs“), sich als Frau zu verkleiden, und diese Rolle zu spielen. Dann nehmen die Verwicklungen ihren Lauf…
Theater
Die Saarbrücker Theaterszene war um 1894 eine komplexe Angelegenheit. Ein richtiges Theatergebäude gab es nicht, die einzelnen Theatergesellschaften waren im Konkurrenzgerangel verwoben und die Regisseure und Direktoren der verschiedenen Theatergruppen buhlten um die Gunst der Zuschauer. Regelmäßig gaben auswärtige Gesellschaften, wie die Darmstädter, ihr Können zum Besten. 1892 war die Theatergruppe um Direktor Reuther sehr erfolgreich, man spielte vornehmlich Lustspiele und Schwänke, welche die Kassen gut füllten (Charleys Tante war ein Kassenschlager mit 18 (!) ausverkauften Häusern und jährlichen Folgevorstellungen). Aber auch das moderne Schauspiel der jungen Dichtergeneration war beim Publikum beliebt. Theatermaler Jolant zeigte eine außergewöhnliche Bühnenmalerei, wie sie in Saarbrücken noch nie gesehen worden war. Erstmals gab es preisgünstige Billets für sozial Schwächere und Schüler sowie Benefizvorstellungen. Komfortables Genießen der Theatervorführung war damals Glücksache, je nachdem, ob man eine Dame mit den damals modischen Riesenhüten vor sich hatte oder nicht. Schallisolierung gab es auch noch keine, der Schankbetrieb direkt neben dem Theater störte den Theatergenuss doch erheblich. Die Stücke wechselten im schnellen Turnus, was den Darstellern ein Höchstmaß an Lernwillen abverlangte. Was als Saisontheater im April 1892 in der Tonhalle in Saarbrücken begann, wurde im Oktober im Neuen Theater (vormals Kasinogartentheater) fortgeführt. Aufgrund des Erfolges des Ensembles rund um Reuther überlegte man, wie schon so oft, ein stattliches Theater für Saarbrücken zu bauen. Es sollte ein Bau im deutschen und italienischen Stil der Renaissance werden, mit einer Bühnentiefe von 12 Metern, der 1500 Zuschauern Platz bieten würde. Pläne und Modelle lagen im Februar 1894 bereits vor, das Vorhaben wurde jedoch aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nie verwirklicht.
Quelle: Chronik des Saarbrücker Theaters und Theaterspiels, F. Kloevekorn, 1932
Neue Theater, Saarbrücken, 1894 Direktor: Reuther
Regie: Hoffmann (bis April 1894), danach Schiff
Programm: u. a. Der Zigeunerbaron, Zar und Zimmermann, Bettelstudent, Ibsens Gespenster, Die Räuber, Der Hüttenbesitzer
Musik: Infanterie Rgt. 70 Ensemble: knapp 30 Schauspieler
Maße: 28 m lang, 51 m breit, Bühnentiefe 10 m, keine Ränge
Grundriss des Theaters im Alten Casino
Traueranzeige für Carl Röchling, Saarbrücker Zeitung 1910
Das verlassene Podium nach der Trauerfeier für Carl Röchling, Saarbrücken 1910