Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, in welchem quantitativen Umfang sich der Ausländereinsatz in Völklingen abspielte. Auch wenn eine komplette Angabe über sämtliche auf freiwilliger bzw. unfreiwilliger Basis in Völklingen eingesetzten ausländischen zivilen und kriegsgefangenen Arbeitskräfte nicht mehr ermittelt werden kann, so lässt sich doch annähernd das Gesamtausmaß feststellen.
Am Nikolaustag 1945 erging eine Anordnung, in welcher der Oberkommandierende der französischen Armee in Deutschland, General Marie-Pierre Koenig, zu umfassenden Nachforschungen über Zivil-und Militärangehörige der Vereinten Nationen aufforderte. Darin wurde den kommunalen Verwaltungen aufgetragen, eine möglichst vollständige Zusammenstellung sämtlicher in ihrem Bereich eingesetzten Kriegsgefangenen und ausländischen Arbeiter unter Angabe von persönlichen Daten, Arbeitergebern, Beschäftigungsdauer und Unterbringung vorzulegen. Im Januar 1946 nahm die Völklinger Verwaltung ihre Tätigkeiten zur Berichterstattung auf.
Eine in diesem Zusammenhang, wohl Mitte des Jahres 1946, angefertigte Zusammenstellung nennt im Ganzen 13.930 Kriegsgefangene und zivile Staatsangehörige der Vereinten Nationen, die in der Zeit von 1939 bis 1945 in Völklingen eingesetzt worden waren. Insgesamt wurden ausländische Arbeitskräfte aus über zwanzig Nationen in Völklingen eingesetzt. Dabei handelte es sich um Albaner, Belgier, Bulgaren, Dänen, Esten, Franzosen/Lothringer, Holländer, Italiener, Jugoslawen, Kosaken, Kroaten, Luxemburger, Litauer, Letten, Marokkaner, Polen, Portugiesen, Rumänen, Russen/Weißrussen, Schweizer, Serben, Slowaken, Slowenen, Spanier, Tschechen, Ukrainer und Ungarn sowie Staatenlose.
In ihrer Zusammensetzung waren 30% der ausländischen Personen Kriegsgefangene und 70% Zivilarbeiter. Die Kriegsgefangenen unterteilten sich in Franzosen (37%), Russen (20%) und Italiener (43%). Unter den Zivilarbeitern dominierten mit rund 41% Ostarbeiter und Ukrainer. Gemeinsam mit den französischen Zivilarbeiten (ca. 32%) stellten sie rund 73%, also fast drei Viertel, der ausländischen zivilen Arbeitskräfte in Völklingen. Mit großem Abstand folgten italienische Zivilarbeiter mit etwa 9% und polnische Arbeiter mit etwas mehr als 6%. Polen, Holländer und Menschen vom Balkan stellten zusammen rund 15,5% der zivilen Arbeitskräfte (knapp 11% des Gesamteinsatzes).
Überblick über die in Völklingen 1939 bis 1945 eingesetzten Ausländer (nach StadtA VK, A 2718).
Für Völklingen liegt eine weitere, im Vergleich zu der eben aufgeführten, jüngeren Erhebung der Nachkriegszeit vor. Nach Angaben dieser Aufstellung waren in der Hüttenstadt in der Zeit von 1939 bis 1945 zwischen 13.933 und 14.433 ausländische Personen in Völklingen registriert worden. Die größte der dort genannten Gruppen stellten mit knapp 35% sowjetische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene. Dahinter rangierten mit etwa 32% Franzosen und mit ca. 20% Italiener. Erst mit großem Abstand folgten Polen und Holländer (je 3,5%). Die Zusammenstellungen zeigen ein mit minimalen Abweichungen fast identisches Bild.
Überblick über die in Völklingen 1939 bis 1945 eingesetzten Ausländer (nach LAS, MdI 534).
Die in dieser Übersicht dargestellten Zahlen spiegeln jedoch nicht das exakte und tatsächliche Ausmaß des Ausländereinsatzes in Völklingen wider. Dieses lag sicherlich noch um einiges höher. Anhand verschiedener Quellen lässt sich zum Beispiel nachweisen, dass in beiden überlieferten Aufstellungen der Nachkriegszeit überhaupt keine spanischen Arbeiter aufgeführt werden, obwohl über 250 Spanier bei den RESW und der Grube Velsen im Einsatz waren. Die Listen der beiden Unternehmen sowie die zahlreicher anderer Firmen wurden also in der Nachkriegszeit geschönt.
Die Belegschaft sstärke des Rohstahlwerks einschließlich der Kokerei in Altenwald und der Kalkbetriebe der RESW belief sich 1941 auf einen Stand von 6.191 Personen (ohne Einbeziehung der Kriegsgefangenen), wovon 132 serbischer, 194 französischer und 104 spanischer Nationalität waren. Hinzu kamen 272 Kriegsgefangene, sodass der Ausländeranteil dieser Betriebe zu dieser Zeit 10,5% der Gesamtbelegschaft ausmachte. Eine Zusammenstellung der ausländischen Arbeiter von Ende des Jahres 1941 nennt 184 Spanier. Zwischenzeitlich waren rund 219 Spanier registriert worden, womit der höchste Spanier-Stand wiedergegeben ist. Im Oktober 1942 waren weiterhin 200 Spanier bei den RESW im Einsatz. Zu Beginn des Jahres 1943 waren wenigstens 147 Spanier auf drei Lager in Völklingen verteilt. Im Mai des Jahres 1942 waren außerdem mindestens 40 Spanier auf der Grube Velsen beschäftigt. In die obengenannten Angaben können somit wenigstens 259 spanische Arbeitskräfte zusätzlich addiert werden.
Ein weiteres Indiz für weitaus höhere Zahlen liefert eine vermutlich um die Jahreswende 1942/1943 angelegte Lagerliste des Ostarbeiterlagers am Sportplatz in Geislautern. Von den in der Liste genannten ca. 190 Frauen, Männern und Kindern konnte nur der in Völklingen im September 1943 verstorbene Alexander Kononow nachgewiesen werden. Ebenso wenig wurden Arbeiter in einem am Bahnhof in Wehrden befindlichen Lager der in Essen angesiedelten Westschrott GmbH in den Nachkriegsaufstellung erfasst. Diese Tatsache ist verwunderlich, da doch die Meldebehörde Unterlagen über diese Lager führte und die Existenz somit bekannt war. Es darf der Stadtverwaltung insofern eine gewisse Beschönigung ihrer Mitteilungen an die Besatzungsmacht unterstellt werden.
Dass weitere Korrekturen notwendig sind, zeigt sich, wenn man sich die von der Völklinger Hütte gemachten Angaben näher betrachtet. Da die Unternehmen verpflichtet waren, Zusammenstellungen an die Stadtverwaltungen zu übergeben, sind stellenweise Statistiken u. ä. erhalten geblieben. Bei genauerer Betrachtung und Vergleichen mit anderen Dokumenten fällt auf, dass die von den RESW gemachten Angaben, teilweise fehler- und lückenhaft sind. So fehlen in
den Röchling-Angaben beispielsweise zwei im landwirtschaftlichen Betrieb (Betrieb 55) eingesetzte Belgier, die sich in der im Stadtarchiv Völklingen überlieferten Ausländerkartei nachweisen lassen. In einer Sterbeurkunde aus dem Jahr 1943 wird eine vermutlich russische Arbeiterin genannt, die zwar in Völklingen untergebracht war, die sich aber nicht in den überlieferten Listen wiederfindet. Auch soll bei den RESW nur ein Däne eingestellt worden sein. Nach Angaben der Ausländerliste der RESW von 1946 war Paul Jensen vom 6. bis 24. Dezember 1943 für das Unternehmen tätig. Der seit Heiligabend 1943 als flüchtig geltende Jensen war bereits Anfang August 1943 im Völklinger Lager Am Leh polizeilich angemeldet worden. Wenige Tage zuvor waren bereits acht dänische Staatsangehörige in demselben Lager eingetroffen. Ob diese Dänen für die RESW tätig waren, kann zwar nicht mit Sicherheit geklärt werden, dies könnte aber angenommen werden, da ein am 1. April 1944 niedergeschriebener Jahresbericht der Architekturabteilung der Hütte für das Jahr 1943 erwähnt, dass einige Facharbeiter aus Dänemark zugeteilt worden waren. Ferner können mindestens vier portugiesische Arbeiter nachgewiesen werden, die weder in zeitgenössischen noch in nachkriegszeitlichen Statistiken erfasst worden sind.
Die in einer Liste erfassten 19 Lagerbewohner des Lagers Müller in Völklingen können ebenfalls nicht in nachkriegszeitlichen Aufstellungen nachgewiesen werden. Ebenso wenig können 16 beim Fenner Hof untergebrachte Arbeiter bzw. ukrainische, polnische und russische Familien belegt werden. Auch die in Wehrden ansässige Schlackensteinfabrik Trockle versäumte es in der Nachkriegszeit, Angaben über die bei ihr beschäftigten ausländischen Arbeiter zu machen. Mindestens sechs Polinnen, die durch die Firma Josef Riewer eingesetzt wurden, sind nicht erfasst worden. Wenigstens 61 namentlich genannte Arbeiter der Saardrahtwerke GmbH in Luisenthal wurden ebenfalls nicht registriert.
Von rund 900 serbischen Arbeitern, die den RESW seit 1941 zugewiesen worden sind, wurde nur etwa ein Drittel in der Nachkriegszeit den alliierten Behörden gemeldet. Den beiden Kriegsgefangenen-Arbeitskommandos 902 und 907 im Herbst 1944 zugewiesene etwa 500 serbische Kriegsgefangene, die zum Schanzen nach Völklingen abkommandiert worden waren, fehlen in den Zusammenstellungen gänzlich.
Auch der Einsatz von in Völklingen untergebrachten ausländischen Arbeitskräft en der Grube Velsen ist um einiges höher anzusetzen, als von der Saargruben AG 1947 mitgeteilt. 1947 übermittelte das Unternehmen der Völklinger Stadtverwaltung mehrere Listen mit insgesamt 1.183 Namen, die in den Schlafhausanlagen des Steinkohlenbergwerks Geislautern untergebracht waren. Eine genauere Durchsicht des Materials und anderer zufällig im Stadtarchiv Völklingen erhaltener Unterlagen zum Ausländereinsatz auf Grube Velsen, die nicht auf Völklinger Stadtgebiet lag, zeigt jedoch, dass die Saargruben lediglich die Namen von IMI weitergeleitet hatten. Zivile italienische Arbeiter sucht man in den Auflistungen vergeblich. Am 21. Mai 1943 beispielsweise ging beim Völklinger Polizeirevier 7 die Abmeldung von 67 italienischen Arbeitern ein, deren Namen sich nicht in den übermittelten Listen finden. Insgesamt lassen sich
ca. 100 auf Grube Velsen und im Völklinger Bezirk untergebrachte Zivilitaliener nachweisen, deren Angaben sich in den nachkriegszeitlichen Aufstellungen nicht wieder finden lassen.
Die an die Militärbehörden übermittelte Zahl von 1.807 IMI ist ebenfalls zu überdenken, da hier offenbar lediglich die statistischen Angaben aus den nachkriegszeitlichen Aufstellungen der RESW (912) und der Grube Geislautern (895) eingeflossen sind. Die etwa durch die Stadtverwaltung eingesetzten italienischen Gefangenen sind hier also nicht erfasst worden.
Diese wenigen Beispiele verdeutlichen, dass die statistischen Erhebungen lückenhaft durchgeführt worden sind und somit eine letztlich ungewisse Anzahl an ausländischen Arbeitskräften noch in die Gesamtdimension des Ausländereinsatzes, sowohl für die RESW, der Grube Geislautern und folglich auch für die Stadt Völklingen und die anderen Unternehmen im Stadtgebiet, eingerechnet werden muss. Wie hoch diese Dunkelziffer nicht erfasster Personen im Endeffekt ist, kann wohl nicht mehr geklärt werden. Zu den mindestens knapp 14.000 erfassten Personen sind wenigsten 500 weitere hinzuzuaddieren, wenn nicht sogar 1.000 bis 1.500 oder mehr. Damit wären mindestens 14.500 bis 15.500 zivile und kriegsgefangene Arbeiter in Völklingen eingesetzt worden.
Im Folgenden wird nun ein knapper Blick auf den zahlenmäßigen Verlauf des Ausländereinsatzes im Stadtgebiet geworfen. Aus einer Zusammenstellung der Einwohnerzahl der Stadt Völklingen vom 10. Oktober 1941, die an das Statistische Reichsamt weitergeleitet werden musste, geht hervor, dass von den 34.855 zum Zeitpunkt der Zählung in Völklingen angetroffenen Personen 2.157 Ausländer waren. Dies entsprach einem Ausländeranteil von etwa 6,2%. Nicht wesentlich verändert hatte sich der Stand Mitte des Jahres 1942, als das städtische Steueramt rund 2.000 in einer Beschäft igung stehende Ausländer in Völklingen registrierte, darunter etwa 1.000 Ost-Arbeiter.
Wie sich der ausländische Bevölkerungsanteil im Weiteren entwickelte, zeigen Angaben aus der Überlieferung des Völklinger Meldeamts über die in der Hüttenstadt vorgenommenen behördlichen An- bzw. Abmeldungen. Für die Monate Januar 1943 bis Juli 1944 liegen aus dem Völklinger Amt für Polizei- bzw. Meldewesen Mitteilungen vor, die Auskunft über die Entwicklung der einheimischen Bevölkerung und darüber hinaus den Stand der Ausländer geben. Gemäß einer Verfügung vom 2. September 1938 hatte die Meldebehörde monatlich dem Hauptamt der Stadtverwaltung über die Bevölkerungsbewegung Bericht zu erstatten. Seit dem 1. Januar 1943 war das Meldeamt darüber hinaus verpflichtet, nicht nur die Bevölkerungsentwicklung der einheimischen Bewohner fortzuschreiben, sondern nach Möglichkeit auch die Zahl der Ausländer festzuhalten. Dabei waren grundsätzlich auch die in Lagern oder anderen Sammelunterkünften untergebrachten Ausländer miteinzubeziehen. Anhand dieser Aufstellungen lässt sich der Stand der ausländischen Bevölkerung, die sich in Völklingen von 1943 bis Mitte 1944 aufhielt, teilweise nachvollziehen. Wie die dort genannten Zahlen aussahen und sich entwickelten, zeigen folgende Tabelle und Grafik.
Entwicklung der ausländischen Bevölkerung in Völklingen zwischen Januar 1943 und Juli 1944
(nach StadtA VK, A 2071, StadtA VK, A 2615 und StadtA VK, A 2624).
Entwicklung der ausländischen Bevölkerung in Völklingen zwischen Januar 1943 und Juli 1944.
Seit Jahresbeginn 1942 waren die zivilen Ausländerzahlen in der Hüttenstadt angestiegen. Der Höchststand von sich im Stadtgebiet aufhaltenden und polizeilich gemeldeten Ausländern wurde schließlich im August 1943 erreicht. Danach waren die Zahlen bis November 1943 rückläufig, um in den beiden Folgemonaten Schwankungen zu unterliegen. Von Januar bis Mai 1944 sanken die Ausländerzahlen kontinuierlich. Erst in den beiden letzten statistisch erfassten Monaten setzte ein kleiner Trendwechsel ein. Es stellt sich hier die Frage, wie aussagekräftig diese Angaben sind und welche Personengruppen in diesem Datenmaterial angegeben worden sind.
Wie aus den statistischen Meldeamtsdaten für den Januar 1943 (mitgeteilt am 9. Februar 1943) hervorgeht, setzte sich diese Zahl aus den in DAF-Lagern (3.600) und in Privatquartieren (1.400) untergebrachten Personen zusammen. Ende März 1943 machte das Amt für Polizeiwesen in seinem Beitrag zum Verwaltungsbericht für den Monat März 1943 die Mitteilung, dass neben den 37.710 deutschen Bewohnern auch 5.233 Ausländer in Völklingen gemeldet waren, von denen 3.848 lagermäßig und 1.385 privat untergebracht waren. Somit hatte sich der Ausländeranteil an der Völklinger Einwohnerschaft auf etwa 12,2% erhöht. Aus der Erhebung für den Monat Oktober 1943 geht ebenfalls hervor, dass DAF-Lager und Privatunterkünfte in die Zahlen einflossen. Im Oktober 1943 waren 6.020 Ausländer erfasst worden, was einem Ausländeranteil von knapp 14,5% der Gesamtbevölkerung entsprach.
Eine bei Krämer/Plettenberg zitierte Akte des Stadtarchivs Völklingen bestätigt diese Zusammensetzung, worin angegeben ist, dass sich wahrscheinlich im Monat April 1943 über 6.000 ausländische Zivilarbeiterinnen und -arbeiter in Völklingen befunden haben sollen, wovon etwa 500 Personen in privaten Unterkünften wohnten. Der doch drastische Rückgang bei den in Privatquartieren untergebrachten Ausländern hängt höchstwahrscheinlich mit der Fertigstellung des Lagers Am Schulzenfeld zusammen, wodurch Röchlingarbeiter umquartiert werden konnten.
Für Januar 1943 liegt eine weitere Statistik vor, die eine Zusammenstellung der in den Lagern untergebrachten Fremdarbeiter beinhaltet und um fast 1.000 Personen von der Meldeamtsangabe abweicht. Vergleicht man die oben in der Einwohnerstatistik genannte runde (!) Zahl von 5.000 mit derjenigen der Lagerzusammenstellung (4.032) aus dem Januar 1943, fällt zunächst auf, dass in letzterer auch Kriegsgefangene (604)198 genannt werden, allerdings dort die in Privatquartieren untergebrachten Ausländer fehlen. Subtrahiert man die Kriegsgefangenenzahlen aus dieser Summe, dann befanden sich 3.428 zivile Personen in Lagern im Stadtgebiet einquartiert. Mit den rund 1.400 in der Meldeamtsstatistik erfassten in Privatwohnungen lebenden erreicht man fast annähernd den Wert von 5.000. Folglich kann festgehalten werden, dass die Kriegsgefangenenangaben in dieser Meldeamtsstatistik keine Berücksichtigung fanden und noch zu diesen Angaben addiert werden müssen.
Rechnet man nun die in der Lagerliste genannte Zahl von 604 Kriegsgefangenen zu derjenigen der Meldebehörde, kommt man auf knapp 5.600 ausländische Personen, die in Völklingen zu Beginn des Jahres 1943 anwesend waren. Die Zahl – und somit sind die statistischen Erhebungen zur Gesamtzahl wieder hinfällig – muss allerdings noch weiter nach oben korrigiert werden, da die angeführte Aufstellung der Völklinger Lager aus dem Januar 1943 unvollständig ist. So fehlt beispielsweise das Lager der Westschrott GmbH (Essen), das sich am Wehrdener Bahnhof befand und am 16. Dezember 1942 mit ukrainischen Arbeitern belegt war, die durch das Arbeitsamt Lemberg zugeteilt worden waren. Noch 1944 wurde das Quartier genutzt, sodass eine zwischenzeitliche Auflösung des Lagers ausgeschlossen werden kann. Auch das am Sportplatz gelegene Lager der VSE ist nicht genannt. Letztlich handelt es sich jeweils nur um Momentaufnahmen, die jedoch einen Eindruck über das Ausmaß des Ausländereinsatzes vermitteln.
Mitte des Jahres 1943 konstatierte die Völklinger Verwaltungsspitze: Bei rund 6.000 fremden Arbeitern aus aller Herren Länder und Kriegsgefangene, die zur Zeit hier vorhanden [sind], kann man von einer Ausländer-Inflation sprechen. Noch Ende 1943 meldete der Völklinger Bürgermeister seiner vorgesetzten Behörde, die Realität dabei völlig verkennend, dass der verstärkte Einsatz von Frauen, Ausländern und Kriegsgefangenen […] nur eine Notlösung mit teilweise recht unangenehmen Auswirkungen sei. Das kontinuierliche Anwachsen des ausländischen Bevölkerungsanteils ließ in der kommunalen Verwaltung die Sicherheitsbedenken schon zu einem Zeitpunkt größer werden, als der Höchststand der Ausländerbeschäftigung und der Massencharakter noch gar nicht erreicht waren. In seinem Lagebericht für Juni 1941 beklagte Bürgermeister Eder, dass das Zusammenballen der vielen fremden Arbeiter […] dem Sicherheitszustand abträglich wäre. Rohheitsdelikte, andere Vergehen und auch die Belästigung von Frauen und Mädchen werden häufiger. Im Januar 1942 wurde trotz einer erhöhten Polizeipräsenz von einer wachsenden Unsicherheit gesprochen. Eine Zunahme der Kriminalität wurde zu Beginn des Jahres 1942 auf die vielen ausländischen Arbeiter-Elemente zurückgeführt. Im Juni 1942 hatte sich nichts an dieser Situation geändert. Nach dem 1942 einsetzenden massenhaften Eintreffen ausländischer Arbeiter in Völklingen bestand weiterhin ein Zustand der Unsicherheit, der auch auf zu wenige Polizisten für den Ordnungs- und Sicherheitsdienst zurückgeführt wurde. Vermehrt auftretende Feld- und Walddiebstähle wurden den in verschiedenen Lagern, DAF, Hütte und sonstige Privatfirmen untergebrachten ausländischen Arbeiter[n] zugeschrieben.
Das fremde Völkergemisch von Franzosen, Serben, Kroaten, Russen usw. sorgte aus dem Blickwinkel der Verwaltung für ein ungewohntes und nicht gerade angenehmes Bild unter der ortsansässigen Bevölkerung. Bei den RESW beschäftigte Ausländer kehrten nach Schichtende singend in ihre Gemeinschaftslager zurück, was bei den Einwohnern mit Unmut zur Kenntnis genommen wurde, da die nächtliche Ruhe durch ständige Fliegeralarme bereits gestört war. Anstatt
sich über eine mangelnde Versorgung Gedanken zu machen, sah man die vernachlässigt und zerlumpt aussehenden serbischen Arbeiter, die das Straßenbild verunzierten und nach Brotmarken bettelten, als ein Sicherheitsrisiko an. Ihnen gegenüber sollte kein falsches Mitleid gezeigt werden. Ende des zweiten Quartals 1944 konnte sich über das Verhalten der ausländischen Arbeiter im allgemeinen nicht beklagt werden.
Schwierigkeiten bereitet, die Schwankungen bei den Zugängen und Abgängen einzuberechnen. Die Fluktuation der ausländischen Bevölkerung (ohne Kriegsgefangenen) lässt sich anhand der überlieferten Statistiken für den Zeitraum Februar 1943 bis Juli 1944 nachzeichnen. Die Zahlen sind dennoch mit einiger Vorsicht zu genießen. Denn wegen möglicher Nichtanmeldung eingetroff ener Arbeiter durch die Unternehmen und das Nichteinbeziehen von flüchtigen oder nicht aus dem Urlaub zurückgekehrten Arbeitern könnten die Verwaltungsangaben nicht exakt sein. Allerdings liegen auch hier erhebliche Abweichungen gegenüber anderen Quellen vor. Ein Vergleich der für den Monat Mai 1943 übermittelten Zahlen bei den Zugängen (22) mit den auf der Ausländerkartei der Sowjetbürger vermerkten Eintrittsdaten für den Mai 1943 (100) deutet dies an.
Zu- und Abgänge der ausländischen Bevölkerung (ohne Kriegsgefangene) in Völklingen von Januar 1943 und Juli 1944.
Wie erheblich diese Bewegungen mitunter ausfallen konnten, zeigt ein Jahresbericht der Abteilung für Arbeitskunde (Afa) der Völklinger Hütte für das Jahr 1941. Dort wird erwähnt, dass bei der Neueinrichtung der Wehrbetriebe eine große Bauarbeiteranzahl erforderlich war. Aus diesem Grund waren 875 serbische Arbeiter angeworben worden, von denen jedoch bis auf 130 Mann die überwiegende Masse wegen Unbrauchbarkeit wieder abgeschoben worden war.
Die in den Völklinger Nachkriegszahlen eingeflossenen Angaben berücksichtigten offenbar nur die durch Röchling eingesetzten Arbeiter. Wieso aber leihweise an Unternehmen abgegebene Arbeitskräfte nicht aufgenommen wurden, bleibt rätselhaft.
Als problematisch bei diesen Zahlenspielen stellen sich die Angaben zu Kriegsgefangenen dar. Nur aus wenigen Dokumenten lassen sich exakte Ziffern benennen. Aus dem Zeitraum, für den die Meldeamtsdaten vorliegen, sind nur für Januar 1943 zuverlässige Angaben zu machen. Allerdings liegen für September 1940 bis Januar 1943 fast vollständig erhaltene Lohnlisten des städtischen Arbeitskommandos in Völklingen vor, aus denen Zahlen gewonnen werden können. Außerdem finden sich in städtischen Lageberichten Angaben zum Kriegsgefangeneneinsatz der Stadt. Daten für das Arbeitskommando 902 lassen sich aus den Lageberichten der RESW an die Handelskammer in Saarbrükken entnehmen. Es zeigt sich, dass zunächst eine große Anzahl kriegsgefangener Soldaten (Franzosen) im städtischen Kriegsgefangenenlager untergebracht war. An der Jahreswende 1940/41 befanden sich ca. 300 durch die Stadt und 614 durch die RESW beschäftigte französische Gefangene in Völklingen. Somit waren zur Jahreswende 1940/41 rund 800 Kriegsgefangene in Völklingen. Zeigten sich für das Jahr 1941 sowohl Schwankungen nach oben wie nach unten bei den Gefangenenzahlen, ist das Jahr 1942 bis zum Eintreffen russischer Kriegsgefangener Ende Juli oder Anfang August 1942 aufgrund eines kontinuierlichen Abzugs der französischen Gefangenen von einem drastischen Abwärtstrend gekennzeichnet. Im Stadtgebiet insgesamt befanden sich aber auch Mitte des Jahres 1941 weiterhin möglicherweise rund 1.000 Kriegsgefangene, die größtenteils auf der Völklinger Hütte im Einsatz waren. Eine für November 1941 genannte Zuweisung von 400 russischen Kriegsgefangenen für die RESW erreichte Völklingen off enbar nicht. Mit dem tatsächlichen Eintreff en sowjetischer Kriegsgefangener im Juli 1942 kam es zu einem zwischenzeitlichen Anstieg der Kriegsgefangenenzahlen im Stadtgebiet, die aber recht schnell wieder zu sinken begannen. Anfang Januar 1943 befanden sich 604 Gefangene in Völklingen. Erst mit der Festsetzung der italienischen Soldaten ab September 1943 sind wieder ein Anstieg zu verzeichnen und ein weiterhin hoher Ausländerstand in Völklingen aufgrund der Zahl der Kriegsgefangenen zu konstatieren. Mit dem Einsatz der IMI stiegen die Gefangenenzahlen wieder an. Dabei könnten Ende 1943 über 1.200 IMI in Völklingen eingesetzt gewesen sein, wenn man nur die RESW- und Gruben-Angaben als Maßstab nimmt. Zählt man hier noch die russischen und französischen Gefangenen der Hütte (Stichtag 31. Dezember 1943) hinzu, dann waren in der Völklinger Montanindustrie knapp 1.650 Kriegsgefangene im Einsatz.
Wann erreichte nun der Zwangsarbeitereinsatz in Völklingen seinen Höhepunkt? Die Ermittlung dieser Angaben ist nicht einfach, da für die Kriegsgefangenen keine gesicherten Angaben vorliegen. Nimmt man die für die RESW erstellten verschiedenen Statistiken als durchschnittliche Grundlage für den Gefangeneneinsatz und addiert diese mit den Angaben des Völklinger Meldeamts, dann kann einigermaßen erahnt werden, wann der Einsatz von Zwangsarbeitern in Völklingen seinen höchsten Stand erreichte. In diesen Angaben fehlen noch die Statistiken der Steinkohlengrube Geislautern, sodass von noch höheren Zahlen ausgegangen werden sollte.
Als im August 1943 ein Höchststand von 6.716 zivilen in Völklingen gemeldeten Personen erreicht wurde, befanden sich bei den RESW rund 470 Kriegsgefangene im Einsatz.227 Zusammen wären also knapp 7.185 ausländische Arbeitskräfte in Völklingen gewesen. Dies war aber nur ein zwischenzeitliches Hoch, denn mit dem Eintreffen der IMI im Spätsommer 1944 stieg die Anzahl zur Jahreswende 1943/1944 nochmals an. Im Dezember 1943 dürften rund 7.010 Ausländer in Völklingen anzutreffen gewesen sein. Rechnet man die 580 für Ende 1943 genannten IMI des Steinkohlenbergwerks Geislautern mit ein, erhöht sich die Anzahl auf 7.590. Ohne die Angaben aus dem Bergbau zu berücksichtigen, erreichte der Ausländerstand im Januar 1944 mit 7.281 Personen möglicherweise seinen Zenit (bei der Annahme von knapp 600 IMI im Bergbau eventuell ca. 7.900).