Die Völklinger Zwangsarbeitergeschichte beginnt nicht erst mit dem Zweiten Weltkrieg. Bereits im Ersten Weltkrieg wurden russische und italienische Kriegsgefangene sowie belgische, (russisch-)polnische, russische und vielleicht ruthenische, also ukrainische, Arbeiterinnen und Arbeiter in der Produktion durch die Röchling’schen Eisen- und Stahlwerke und auf den Grubenstandorten des Gebiets der Völklinger Bürgermeisterei eingesetzt.

Während des Ersten Weltkriegs gerieten insgesamt zwischen 6,6 und 8,4 Millionen Soldaten in Kriegsgefangenschaft. Bis kurz vor Ende der Kampfh andlungen waren von 1914 bis 1918 alleine knapp 2,4 bis 2,5 Millionen Soldaten und Offiziere in deutsche Hände geraten. Bei Kriegsende hielten sich ca. 915.000 zivile ausländische Arbeiter im Reichsgebiet auf. Die im Deutschen Reich bei Kriegseintritt verweilenden ausländischen Personen galten, sofern sie nicht als Verbündete der eigenen Kriegspartei angehörten, als „feindliche Ausländer“ und wurden (das galt v. a. für die wehrfähigen Männer) als sogenannte Zivilgefangene festgesetzt. Sie unterlagen einer strengen Meldepflicht. Ihnen, besonders den russisch-polnischen Arbeitern, war ein Wechsel des Arbeitsplatzes bzw. des Aufenthaltsortes untersagt oder nur mit behördlicher Erlaubnis gestattet, an eine Rückkehr in ihr Heimatland war nicht zu denken. Mitte Oktober 1914, also wenige Monate nach Kriegsausbruch, befanden sich im Bürgermeistereibezirk Völklingen ca. 175 Ausländer, von denen die meisten jedoch bereits Jahre vor Kriegsbeginn nach Völklingen gekommen waren.

Die Mehrzahl der in Völklingen beschäft igten ausländischen Arbeitskräfte stand im Dienste der größeren lokalen Industriebetriebe, nämlich der Eisen- und Stahlindustrie sowie dem Bergbau. Neben sich bereits in den Gemeinden befindlichen ausländischen Staatsbürgern, kam es zu Beginn des Jahres 1915 zum Einsatz von kriegsgefangenen Soldaten.

Basis für den Umgang mit und die Beschäftigung von Kriegsgefangenen bildete im Ersten Weltkrieg das 1907 getroffene Übereinkommen der Zweiten Haager Friedenskonferenz. Am 29. Juli 1899 wurde erstmals in einem Abkommen zur Landkriegsführung völkerrechtlich bindend in siebzehn Artikeln der Umgang mit Kriegsgefangenen definiert. In leicht geänderter Form wurden diese Bestimmungen in das Vierte Übereinkommen der Zweiten Haager Friedenskonferenz betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, der sogenannten Haager Landkriegsordnung, am 18. Oktober 1907 aufgenommen.

Auf der zunächst teilweise stillgelegten Völklinger Hütte, die im Saargebiet eine Vorreiterrolle hinsichtlich des Kriegsgefangeneneinsatzes einnahm, waren zur Abmilderung des bestehenden, durch den oft mals freiwilligen Eintritt vieler Arbeiter der Stammbelegschaft en der Unternehmen zum Militär bedingten Arbeitskräft emangels seit Mitte Februar 1915 200 kriegsgefangene russische Soldaten, die aus dem bei Munster in der Lüneburger Heide gelegenen Munsterlager stammten, tätig. Die Zahl der von dem Stahl- und Eisenwerk beschäftigten russischen Kriegsgefangenen, mit deren Arbeitsleistung das Unternehmen stets unzufrieden war, stieg im Laufe der kriegerischen Auseinandersetzungen stetig an. Waren zu Beginn des Jahres 1915 etwa 200 russische Gefangene bei den RESW beschäftigt, hatte sich im August des Jahres die Zahl mit 558 Kriegsgefangenen bereits mehr als verzweieinhalbfacht. Ende 1916 waren über 646 kriegsgefangene Russen auf der Hütte beschäftigt.

Wie bei den RESW kam es auch im Bergbau seit 1915 zum Einsatz russischer Kriegsgefangener. Ende 1915 waren im Bereich der Berginspektion II (Grube Gerhard) mit Sitz in Luisenthal 130 und im Bereich der Berginspektion XII (Fürstenhausen), deren Verwaltung auf dem ehemaligen Fenner Hof saß, am Standort Velsen 122 kriegsgefangene Russen beschäftigt. Im Jahresdurchschnitt beschäftigte die Grube Gerhard 1915 174 Gefangene. In beiden Inspektionen hatte man bereits Ende des Jahres 1915 weitere Gefangene angefordert. Der Kriegsgefangeneneinsatz wurde im Folgejahr, um die notwendigen Fördermengen zu erreichen, weiter ausgeweitet, sodass die zum Arbeitseinsatz herangezogenen Russen bei der Inspektion II auf 554 im Jahresschnitt 1916 anwuchsen. Auch auf Grube Fürstenhausen wurde der Gefangeneneinsatz ausgedehnt. 1916 verdreifachten sich dort die Gefangenenzahlen binnen eines Jahres von 123 am Jahresanfang über 209 im April bis auf 369 im Dezember. Anfang des Jahres 1917 war der Kriegsgefangeneneinsatz bei der Berginspektion II auf 818 angestiegen. Neben russischen Kriegsgefangenen wurden auch italienische Arbeiter oder Kriegsgefangene auf den Gruben eingesetzt. So waren etwa rund 150 Italiener Ende des Jahres 1917 zusätzlich zu den durchschnittlich 542 russischen Gefangenen auf Grube Gerhard beschäft igt. Am Ende des ersten Quartals 1917 arbeiten 336 russische Kriegsgefangene für die Berginspektion XII. Davon waren 180 Gefangene unter und 156 Gefangene über Tage im Einsatz. Die Zahl blieb im bis Kriegsende relativ stabil. Auch ein Jahr später (1. April 1918) waren 336 Gefangene auf Grube Fürstenhausen im Arbeitseinsatz. Bei Kriegsende betrug der Gefangenenstand schließlich 345. Auf Grube Gerhard wurden bis zum Waff enstillstand 1918 im Durchschnitt 624 Kriegsgefangene beschäftigt.

Erst gegen Ende des Ersten Weltkrieges, im August 1918, bemühte sich offensichtlich die Gemeinde Völklingen um die Zuteilung von Kriegsgefangenen für wichtige Gemeindearbeiten, nachdem alle Bemühungen, andere Arbeitskräfte zu beschaffen, gescheitert waren. Die kriegsgefangenen Russen sollten u. a. zur Einbringung der Ernte und bei der Feldbestellung, Straßenreinigung, Müllabfuhr und Reparaturarbeiten zur Hilfe herangezogen werden. Ob es zu einer Zuteilung kam, lässt sich bisher nicht belegen.

Neben Kriegsgefangenen wurden bereits früh auch zivile und zivilgefangene Personen als Ersatzkräfte für Heeresdienstleistende eingesetzt. Seit 1915 waren einige belgische Zivilarbeiter, an denen die Industrie ein besonderes Interesse hatte, bei der Firma Röchling in Arbeit.

Urlaubsgesuch des Polizeikommissars Hartmann wegen der Begleitung eines Rücktransports belgischer Arbeiter nach Antwerpen.

Urlaubsgesuch des Polizeikommissars Hartmann wegen der Begleitung eines Rücktransports belgischer Arbeiter nach Antwerpen.

Zwischen Juli 1915 und September 1916 rekrutierte das Deutsche Reich im Generalgouvernement Belgien Arbeiter in eigens eingerichteten Anwerbestellen des Deutschen Industrie-Büros, in dessen Aufsichtsrat u. a. Louis Röchling saß. Durch die getroffenen Maßnahmen konnten jedoch in diesem Zeitraum weniger als 28.000 Belgier auf freiwilliger Basis vermittelt werden. Nach einem Führungswechsel in der Obersten Heeresleitung (OHL) im August 1916 trat eine Änderung ein, da Ende Oktober zu (bereits vorher diskutierten) Zwangsrekrutierungen übergegangen wurde, die durch die Industrie – hier u. a. auch von Louis Röchling – verlangt wurden. In der Zeit von Oktober 1916 bis Februar 1917 wurden ca. 120.000 belgische Arbeitskräft e zu Zwangsarbeit in den Operations- und Etappengebieten sowie im Reichsgebiet selbst verpflichtet. Die von der Kriegswirtschaft bezweckte Wirkung einer Abmilderung des Arbeitskräftebedarfs blieb jedoch aus, sodass, nachdem eine Vielzahl der verschleppten belgischen Arbeitskräfte die Arbeit verweigerte, von diesem harten System der Zwangsanwerbung wieder abgerückt wurde und die Deportierten in ihr Heimatland entlassen wurden. In der Folgezeit setzte man wieder auf ein mehr oder weniger freiwilliges Anwerben, bei dem allerdings Druckmittel gegenüber der belgischen Zivilbevölkerung eingesetzt wurden. Bis Ende des Ersten Weltkrieges konnten auf diese Weise ca. 150.000 Belgier als Arbeitskräfte gewonnen werden.

Aus einer Zusammenstellung der ausländischen Bewohner im Völklinger Bürgermeistereibezirk aus dem Monat Dezember 1916 geht hervor, dass sich mindestens 301 Belgier, darunter 284 belgische Civilarbeiter, welche bei der Firma Röchling beschäftigt waren, in der Gemeinde Völklingen aufhielten. Alleine im Juni und Juli 1918 kamen noch mindestens 351 bzw. 413 (also insgesamt 764) belgische Arbeiterinnen und Arbeiter zur behördlichen Erfassung. Zeitgleich etwa verließen größere Transporte mit zahlreichen Arbeitern aber auch die Hüttenstadt. Dabei wurden die Heimkehrer durch Völklinger Polizeibeamte bis in die belgische Hauptstadt im Zug begleitet.

Neben Belgien lassen sich weitere Herkunftsstaaten feststellen, aus denen Arbeiter stammten, die während des Ersten Weltkrieges (Zwangs-)Arbeit für die Völklinger Industrie leisten mussten. Durch die RESW wurden etwa russischpolnische Arbeiter eingesetzt, deren Einsatz vor dem Ersten Weltkrieg und bis Juni 1915 in den westlichen preußischen Provinzen nicht gestattet war. Wie im belgischen Fall kam es auch in dem nach der Eroberung eingerichteten Generalgouvernement Warschau mit dem Wechsel in der OHL zu allerdings unsystematischen Zwangsrekrutierungen (neben weiterhin praktizierter Freiwilligenanwerbung) zwischen Oktober und Dezember 1916, die sich aber hauptsächlich auf etwa 5.000 jüdische Arbeitskräfte beschränkten, von denen größtenteils Männer zum Einsatz in Zivilarbeiterbataillonen im Gebiet des Oberbefehlshabers Ost kamen. Mit dem Ende der Zwangsrekrutierungen im Dezember 1916, die nunmehr als „Drohkulisse“ eingesetzt wurden,68 versuchte man von Verwaltungsseite durch eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen die Anwerbung von Arbeitern attraktiver zu gestalten. Allerdings sorgte die im Generalgouvernement Warschau herrschende schlechte Wirtschaft slage für die meisten Anreize bei der Anwerbung. Im Vergleich zum Generalgouvernement Belgien konnten jedoch weit mehr russisch-polnische Arbeiter aus dem Generalgouvernement Warschau vermittelt werden. Bei Kriegsbeginn wurden ca. 300.000 Arbeiter aus dem russischen Zarenreich in Deutschland festgesetzt. In der Zeit bis März 1916 wurden etwa 100.000 und von Oktober 1916 bis Ende Juli 1918 zwischen 200.000 und 240.000 Personen nach Deutschland vermittelt. Insgesamt kamen während des Ersten Weltkrieges ca. 500.000 bis 600.000 Arbeitskräfte aus Polen bzw. Russland in Deutschland zum Einsatz.

Zur schnellen Identifi kation der Arbeiter wurden Arbeiterlegitimationskarten ausgestellt, auf denen auch der Arbeitgeber eingetragen wurde.

Zur schnellen Identifikation der Arbeiter wurden Arbeiterlegitimationskarten ausgestellt, auf denen auch der Arbeitgeber eingetragen wurde.

Nachdem seit Mai 1915 der Einsatz russisch-polnischer Arbeiter auch in den Westprovinzen Preußens gebilligt worden war, konnte im Saargebiet auf dieses Reservoir an Arbeitskräft en zurückgegriff en werden. Mindestens 100 zivile Arbeiter aus russisch Polen waren den RESW durch das Kriegsministerium Ende des Jahres 1915 zugewiesen worden. Nach einer seitens der RESW vorgenommenen ärztlichen Untersuchung wurden 98 von diesen in Arbeit genommen. Im August 1916 waren ca. 400 belgische und russisch-polnische Arbeiter auf der Hütte in Anstellung. Mit Erhebungen im Zusammenhang mit der Volkszählung 1916 wurden in der gesamten Bürgermeisterei Völklingen 212 Polen und 37 zivile Russen erfasst. Im Betrieb Elektrowalzwerk soll im Juli 1918 sogar die Hälfte der dort beschäftigten Belegschaft Belgier und Russen gewesen sein.

Über die Zahl der italienischen Gefangenen in Völklingen ist wenig bekannt. Insgesamt gerieten 600.000 italienische Soldaten während des Ersten Weltkrieges in Gefangenschaft . Davon wurden ca. 170.000 in das Gebiet des Deutschen Reiches verbracht.

Im Völklinger Kontext sprach Hermann Röchling 1935 von einigen Hundert italienischen Kriegsgefangenen. Dass auch italienische Zivilgefangene und Soldaten in Völklingen bei den RESW arbeiten mussten, belegt z. B. eine Mitteilung des 10. Kompanie Gefangenenlagers in Gießen, wonach der italienische Zivilgefangene Anton Marao Mitte April 1916 nach Völklingen entlassen und an die Firma Röchling zugeführt wurde. Aus dem Gefangenenlager in Holzminden wurde der Italiener Ernst Albani an die RESW überwiesen. Die Völklinger Sterbebücher belegen ferner, dass in Völklingen mindestens 25 italienische kriegsgefangene Soldaten ums Leben gekommen sind, bei denen aber der Arbeitgeber nicht eindeutig zu ermitteln ist.

Einblicke in das Ausmaß des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte während des Ersten Weltkrieges bieten neben einigen Unterlagen des Saarstahlarchivs zu Kriegsgefangenenzahlen die Volkszählungen, welche im Zusammenhang mit der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung 1916 und 1917 durchgeführt wurden. Nach der Volkszählungsliste des Jahres 1916 befanden sich lediglich in der Gemeinde Völklingen Kriegs- und Zivilgefangene. Nach dieser Erhebung waren es insgesamt 1.422 Gefangene, die durch die Zählerinnen und Zähler am 5. Dezember 1916 ermittelt wurden. Davon waren alleine 1.344 in den Schlafhäusern I und II der RESW untergebracht. Schwieriger zu ermitteln sind die Zahlen aus der Volkszählung des Jahres 1917, da dort Militärpersonen und Kriegsgefangene in einer Rubrik erfasst wurden. Die Befragungen ergaben, dass in der Gemeinde Völklingen 1.259 Militärpersonen und Kriegsgefangene anwesend waren. Die Zahl der letztlich erfassten Kriegsgefangenen lag insgesamt bei 795. 630 Gefangene lassen sich den RESW zuordnen und wurden von einer 87 Soldaten starken Russenwache beaufsichtigt. 125 Kriegsgefangene waren im Gefangenenlager in Geislautern interniert und wurden von 15 Mann bewacht. In den anderen Gemeinden lässt sich mindestens ein weiterer Militärgefangener (Mgf.) nachweisen.

Erhebung über in der Bürgermeisterei Völklingen am 1. Dezember 1916 anwesenden zivilen Ausländer (nach StadtA VK, A 2648)

Erhebung über in der Bürgermeisterei Völklingen am 1. Dezember 1916 anwesenden zivilen Ausländer (nach StadtA VK, A 2648)

Die Unterbringung der bei den RESW eingesetzten Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter erfolgte in den umfunktionierten Schlafhäusern, Gasthaussälen und Privatwohnungen. Die meisten der russischen Kriegsgefangenen und belgischen Zivilarbeiter waren in den zu Ausländerquartieren umgewandelten Schlafhäusern I und II der RESW untergebracht. Schlafhaus I war mit russischen Gefangenen belegt, während im Schlafhaus II neben deutschen Arbeitern auch Belgier, Polen und vereinzelt Personen anderer Nationen wohnten.

Für belgische Arbeiterinnen bestand daneben in der Völklinger Wilhelmstraße 25 ein eigenes Mädchenheim, das zudem von jungen deutschen Frauen bewohnt wurde. Ein weiteres Mädchenheim gab es in der Moltkestraße 29. Mehrere belgische Arbeiter waren offenbar in einem Schlafhaus in der Wehrdener Wilhelmstraße untergebracht. In der Wehrdener Burötherstraße 62 kamen im Juni 1918 zehn Belgier zur Anmeldung, was auf eine Sammelunterkunft hindeutet. Ebenfalls mit zahlreichen Belgiern belegt war der sogenannte Mang’sche Saal in der Bismarckstraße 63. Erkrankte russische und italienische Kriegsgefangene kamen in das Reservelazarett des Hüttenkrankenhauses.

Eigens für Kriegsgefangene eingerichtete Lager gab es in oder bei den Schlafh ausanlagen in Geislautern für die gefangenen Arbeiter der Grube Velsen. Dort hatte man 1915 die alten Pferdestallungen zu Lagerzwecken eingerichtet (Russenlager I). Im Dezember war man dabei, für rund 5.000 Reichsmark Teile der Schlafhausanlagen in Geislautern für die Unterbringung von 60 angeforderten Gefangenen herzurichten. Für im April 1916 zugewiesene Kriegsgefangene wurde in Geislautern oberhalb des alten Zechengebäudes ein Lager inklusive Küche und Kantine für 130 Mann und Wachmannschaften abgetrennt. In dem Gefangenenlager am Schlafhaus der Berginspektion XII waren zur Zeit der Volkszählung im Dezember 1917 125 russische Kriegsgefangene untergebracht, die durch 15 Mann bewacht wurden. Zu einem späteren Zeitpunkt, seit dem ausgedehnten Gefangeneneinsatz 1916, existierte zudem ein aus zwei Gebäuden bestehendes Lager Velsen II in der Nähe des Annaschachtes.

Die Berginspektion II errichtete aufgrund der Unzweckmäßigkeit von Gasthaussälen zur Einrichtung von Unterkünften Lager für je 200 Mann an den Tagesanlagen des Aspenschachts und den Schächten Viktoria I/II und III (Bürgermeisterei Püttlingen). Ferner bestanden Unterkunft smöglichkeiten in der Badeanstalt bei den Delbrückschächten 1 und 2 für 50 Gefangene, die auf der Fürstenhauser Tagstrecke anfahren sollten.

Fluchten kriegsgefangener Arbeiter waren relativ häufig an der Tagesordnung. Bereits wenige Tage nach dem Eintreffen der ersten russischen Soldaten bei den RESW wurde durch die Völklinger Zeitung von einer Flucht berichtet. Aus einem Fahndungsaufruf zum Ergreifen gefl ohener Kriegsgefangener vom 25. Juli 1916 geht hervor, dass auch zwei russische Kriegsgefangene der Arbeitsstelle Röchling’sche Eisen- und Stahlwerke flüchtig waren, die aber bereits wenige Tage später wieder aufgegriffen werden konnten. Das Gleiche kann für den Bergbau festgestellt werden. Die Festnahme flüchtiger Gefangener wurde mit Prämien belohnt. Im Mai des Jahres 1916 stellte z. B. der Hegemeister Heck aus Lauterbach (Forsthaus Weiherdamm) einen geflohenen russischen Kriegsgefangenen, den er in das Gefangenenlager der Grube Velsen ablieferte und wofür ihm im Juli eine Belohnung über zehn Mark ausgehändigt wurde.

Für die zur Bewachung gefangener Russen eingesetzten Aufseher bestanden Vorschrift en, wonach eine Schusswaffe getragen werden musste. So wurden bspw. Waffenscheine für Wachtmannschaft en der Berginspektion Luisenthal zur Bewachung der Kriegsgefangenenkolonnen vom Lager zur Arbeitsstelle im Jahr 1917 angefordert. Die Anwesenheit der ausländischen Arbeitskräfte löste off enbar insgesamt ein größeres Sicherheitsbedürfnis aus. Dem Feldhüter Diwo wurde eine Pistole ausgehändigt, da nicht auszuschließen war, dass der ein oder andere Russe mal handgreiflich werden könnte. Im Juli 1918 beantragte der Betriebsleiter des Elektrowalzwerkes der RESW, Heinrich Puppe, die Genehmigung zum Tragen eines Revolvers, nachdem auf ihn Übergriffe seitens einiger Arbeiter erfolgt waren. In diesem Zusammenhang bemerkt Puppe u. a., dass die Arbeiterschaft in der von ihm geleiteten Abteilung mit Rücksicht auf die Kriegszeit stark mit allen möglichen Elementen durchsetzt wäre, so u. a. sind die Hälfte der Leute Belgier und Russen.

Unbedenklichkeitserklärung für Odon Lechantre wegen der Einreise in das Deutsche Reich.

Unbedenklichkeitserklärung für Odon Lechantre wegen der Einreise in das Deutsche Reich.

Mitten in Kriegszeiten richtete die Völklinger Verwaltung wahrscheinlich auch aufgrund des Ausländereinsatzes im Januar 1918 ein drittes Polizeirevier mit Sitz auf dem Hüttengelände ein. Neben einer Polizeiwachtmeisterstelle genehmigte der Bürgermeistereirat in diesem Zusammenhang ferner die Schaffung von zwei zusätzlichen Polizeisergeantenstellen. Eine zusätzliche Hilfspolizeisergeantenstelle wurde schließlich aufgrund der grossen Zahl der bei der Firma Röchling beschäftigten und im Schlafhaus II sowie den sonstigen Unterkunftsorten untergebrachten Ausländern auf der Hütte im Mai 1918 geschaffen. Auch bei den RESW eingestellte Aufseher und Wächter konnten als Hilfspolizeibeamte vereidigt werden.

Beim Völklinger Meldeamt wurden die belgischen und russisch-polnischen Arbeiter zwecks genauer Kontrolle unmittelbar nach ihrer Ankunft in einem besonderen Verzeichnis eingetragen, und die Arbeiter mussten Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorlegen, ohne die eine Arbeitsaufnahme nicht möglich war

Die russischen Gefangenen waren entgegen damaliger Konventionen (Artikel 6 der Haager Landkriegsordnung von 1907) auch in der Rüstungsproduktion im Einsatz. Eine Tatsache, die Hermann Röchling 1916 selbst konzedierte. Angedeutet wird die Verwendung der Gefangenen für die Fertigung von Waffen und Munition in einem vermutlich an den Saarbrücker Landrat gerichteten Schreiben, wonach der russische Staatsangehörige Robert Jeschke im Oktober 1915 auf der Hütte beschäftigte Kriegsgefangene Russen aufforderte, die Arbeit zu verweigern, falls sie an den Granaten beschäftigt werden sollten. Auch Mitte 1916 ist von erneuten, mit einem Produktionsausfall für das Unternehmen einhergehenden Arbeitsverweigerungen (Streiks) unter russischen Gefangenen die Rede, die am Blockmaterial für Rundeisen zur Granatenherstellung arbeiteten. Einer der Rädelsführer wurde zu einem vierzehntägigen strengen Arrest durch den in Völklingen anwesenden General Hildebrandt verurteilt, der in diesem Zusammenhang sehr energisch mit den Russen umgesprungen war.

Auch über Misshandlungen von Kriegsgefangenen und zivilen Arbeitern geben die Quellen aus dieser Zeit vereinzelt Auskunft. So wurde der Völklinger Polizeisergeant Mathieu, der um 1915 ausschließlich seinen Dienst auf dem Hüttengelände versah, in der Nachkriegszeit zu einer fünfzehnmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er nach Angaben belgischer Arbeiterinnen, die früher auf der Hütte beschäftigt waren, dieselben misshandelt haben soll. Der auf
der Hütte tätige Mathieu spionierte auch im Auftrag der RESW die polnischen und belgischen Arbeiter außerhalb der Völklinger Gemeindegrenzen aus, wofür er sich sogar in Zivil bewegen durfte. Auch sonst scheint Mathieu recht enthusiastisch die fremden zivilen Arbeiter beobachtet zu haben. Im August 1916 wollte er eine durch das stellvertretende Generalkommando ausgestellte Bescheinigung erwirken, mit der er die belgischen und russisch-polnischen Arbeiter, die sonntags den Ortspolizeibezirk für Fahrten in die Kreise Forbach und Saarlouis sowie nach Saarbrücken verließen, umgehend hätte festnehmen können.

Eine Untersuchung wegen angeblicher Misshandlung russischer Kriegsgefangener fand Mitte 1916 auf dem Völklinger Hüttenwerk statt, nachdem mehrere anonyme Anzeigen bei militärischen Dienststellen eingegangen waren. 1916 kam es zu einer Klage vor dem Kriegsgericht gegen einen Sergeanten, weil dieser Russen bedroht haben soll.

Zahlreiche ausländische Arbeiter wurden wegen verschiedener Vergehen angezeigt und stellenweise sogar zu kleineren Haftstrafen verurteilt wie aus den Rubriken Polizeiberichte und Schöffengericht in der Völklinger Zeitung hervorgeht. Wald- und Feldfrevel, sonstige Diebstähle, unerlaubtes Entfernen, verspätete Rückkehr in die Quartiere, Verstöße gegen Verfügungen des kommandierenden Generals des stellvertretenden Generalkommandos oder grober Straßenunfug sind unter den Delikten zu finden. Im August 1918 wurden z. B. sechs Belgier wegen des Diebstahls von Treibriemen und Hehlerei zu Gefängnisstrafen von einem bis vier Monaten verurteilt. Andere belgische und russisch-polnische Arbeiter hatten sich wegen Kartoffeldiebstählen vor dem außerordentlichen Kriegsgericht in Saarbrücken zu verantworten.

Unzureichende nahrungstechnische und medizinische Versorgung, schlechte hygienische Verhältnisse sowie vereinzelte Arbeitsunfälle kosteten von 1915 bis 1918 mindestens 200 Kriegsgefangene und ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter in Völklingen das Leben. Wie eine Auswertung der Sterbebucheinträge des Standesamts Völklingen ergab, stellten Lungenentzündungen eine der häufigsten Todesursachen unter den Sterbefällen ausländischer Arbeitskräfte dar. Während des Krieges lässt sich quellenmäßig mindestens ein Selbstmord belegen. Am 5. Dezember 1916 hatte sich der russische Kriegsgefangene Kilimenk Kalanuk / Kilimenki Kolanuk aus unbekannten Gründen auf seiner Arbeitsstelle bei den RESW bzw. auf der Russenwache 201 erhängt.

Auf dem Völklinger Bürgerfriedhof in der Kühlweinstraße (heute Bürgerpark) wurde Ende der 1920er Jahre ein Sammelgrab für 150 russische Kriegsgefangene angelegt. Erst im Mai 1928 wurde die Errichtung eines Steines für das Massengrab auf dem Civilfriedhof zur Kennzeichnung des Grabes in Angriff genommen, über dessen Entstehungszeit und Hintergründe bisher nichts bekannt ist. Im Februar 1929 waren die Entwurfsskizzen für den Russenstein fertiggestellt. Die Ausschreibung zur Vergabe der Bauarbeiten erfolgte am 17. April 1929. In ihrer Sitzung vom 8. Mai 1929 beschloss die Baukommission, die Ausführung des Vorhabens der Völklinger Firma Johann Schmitt zu übertragen. Gleichzeitig legte sie fest, dass der Stein mit der Inschrift Hier ruhen 150 russische Kriegsgefangene versehen werden sollte. Die bronzenen Buchstaben wurden bei der Firma Hornung bestellt. Anfang Juni begann das Bauunternehmen Schmitt mit der Erledigung des Auftrages, der einen Monat später fast beendet war. Kurz darauf wurden die Buchstaben montiert.

1928/1929 ließ die Gemeinde Völklingen einen Gedenkstein für verstorbene russische Kriegsgefangene auf dem Bürgerfriedhof anlegen.

1928/1929 ließ die Gemeinde Völklingen einen Gedenkstein für verstorbene russische Kriegsgefangene auf dem Bürgerfriedhof anlegen.

Ausschnitt aus einer Liste der in Völklingen verstorbenen Belgier.

Ausschnitt aus einer Liste der in Völklingen verstorbenen Belgier.

Auf dem Ende September 1914 angelegten Völklinger Ehrenfriedhof liegen respektive lagen weitere 27/34/57 russische Soldaten begraben. Zumindest bis in die 1930er Jahre existierten darüber hinaus wenigstens 45 Belgiergräber.

Nach dem Waffenstillstand am 11. November 1918 verließen die Kriegsgefangenen und eine Vielzahl der ausländischen Arbeitskräfte die Völklinger Gegend. Zwar war im Frieden von Brest-Litowsk vom 3. März 1918 ein Austausch der Gefangenen zwischen Russland und Deutschland vereinbart worden, doch hatte sich die Rückführung russischer Gefangener u. a. wegen Sorgen um einen Zusammenbruch der Kriegswirtschaft und des Weigerns der deutschen Militärführung bis Kriegsende hinausgezögert. In der Chronik der Grube Gerhard heißt es zum Ende des Einsatzes der gefangenen Soldaten: Sämtliche Kriegsgefangene kamen unmittelbar nach Eintritt des Waffenstillstandes im November 1918 zur Entlassung. Auch die Berginspektion XII (Fürstenhausen) meldete am 12. Dezember 1918, dass sie keine ausländischen Arbeiter beschäftigte. Dort hatten die Gefangenen laut der Entwicklungsgeschichte der Grube Fürstenhausen, am 12. November 1918 die Arbeit eingestellt. Die gefangenen russischen Soldaten waren zwei Tage später auf Anordnung der Militärbehörden nach Saarbrücken abtransportiert worden, während die gefangenen Italiener in ein Lager in Kleinrosseln verbracht wurden. Aufgrund unzulänglicher Beförderungsmöglichkeiten kehrten 147 russische Gefangene am 15. November 1918 sogar in den Völklinger Verwaltungsbezirk zurück, ehe sie wenige Tage später erneut weggebracht wurden. Nach Kriegsende befanden sich durchaus noch vereinzelt Ausländer in Völklingen und Umgebung.

Wie die oben angeführten Schilderungen zeigen, war der Einsatz ausländischer ziviler und kriegsgefangener Arbeiter somit in Völklingen kein Novum und Phänomen des Zweiten Weltkrieges. Die Arbeitskraft dieser aus dem Ausland in das Deutsche Reich geholten Menschen war schon zwischen 1915 und 1918 zur Aufrechterhaltung der Produktion unentbehrlich für die lokale Industrie.