Einleitung

Im Zentrum dieser Arbeit steht vornehmlich die Entwicklung der Völklinger Zwangsarbeitergeschichte, die vor dem Hintergrund des saarländischen Kontextes betrachtet wird. Auf einen Vergleich mit außerhalb des Saarlandes gelegenen Städten o. ä. wurde verzichtet. Die Studie ist trotz ihres Umfanges als erste Annäherung an das Thema zu sehen, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll als Grundlage für weitere Forschungen dienen. Die hier getroffenen Aussagen basieren auf bislang im Stadtarchiv Völklingen erschlossenem Quellenmaterial, das Angaben zum Zwangsarbeitereinsatz in der Hüttenstadt liefert, und Überlieferungen aus anderen Archiven. Dabei ist anzumerken, dass aufgrund der derzeitigen Erschließungslage des Archivs weitere erkenntnisbringende Akten durchaus noch zum Vorschein kommen können. Ergänzend wurden Unterlagen des Archivs der Saarstahl AG Völklingen und des Landesarchivs des Saarlandes konsultiert. Nur selektiv konnte Archivgut aus dem Mannheimer Röchling-Archiv sowie den Archives Nationales in Paris, wo sich die Rastatter Prozessunterlagen befinden, ausgewertet werden. Wo es möglich war, wurde auch Material aus dem Bundesarchiv oder anderen staatlichen Archiven herangezogen.

Die Arbeit gliedert sich in mehrere Themenkomplexe. Das erste Kapitel widmet sich dem Einsatz von Kriegsgefangenen und zivilen Arbeitern in Völklingen während des Ersten Weltkrieges. Der erste Hauptteil untersucht die Dimension des Ausländereinsatzes in Völklingen. Daran anschließend werden die Einsatzorte der kriegsgefangenen und zivilen Arbeiter im Stadtgebiet vorgestellt. Der folgende Abschnitt gibt einen Überblick über das ausgedehnte Lagersystem in Völklingen. Ferner wird anhand der Stadtverwaltung und der RESW dargestellt, wie die Zwangsarbeit organisiert und verwaltet wurde. Anschließend werden der Röchling’sche Werkschutz und die Position des Abwehrbeauftragten analysiert sowie Kurzbiografien der jeweiligen Leiter gegeben. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit dem Arbeitserziehungslager in Etzenhofen. Die beiden folgenden Kapitel widmen sich dem Ende des Zwangsarbeitereinsatzes in Völklingen von Herbst 1944 bis März 1945 sowie dem Schicksal der Arbeiter nach Kriegsende. Abschließend geht es um die Spuren der Zwangsarbeit und die Spurenbeseitigung in der Nachkriegszeit.

Einige wenige allgemeine Worte müssen noch am Anfang dieser Abhandlung stehen. Zunächst ist eine knappe Begriffsbestimmung nötig, ohne dabei den gesamten Forschungsstand einfließen zu lassen. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und der damit verbundenen Mobilmachung zeigte sich ziemlich schnell ein Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft und Industrie. Der ausbeuterische Einsatz ausländischer Arbeitskräfte bildete während des Zweiten Weltkrieges, als immer mehr deutsche Arbeiter zum Heeresdienst einberufen wurden, das Rückgrat der deutschen Kriegswirtschaft. Ohne den Einsatz der ausländischen Arbeiter, der seitens der Industrie gefordert wurde, wäre die deutsche Rüstungsproduktion zusammengebrochen. Dies war auch der Grund weswegen die NS-Führung dem massenhaft en Einsatz überhaupt zustimmte, da dieser der Ideologie des NS-Staates widersprach. Nachdem freiwillige Anwerbungen ziviler Arbeitskräfte nicht den erhofften Erfolg gebracht hatten, griffen die deutschen Anwerbestellen in den besetzten Gebieten zu Zwangsmaßnahmen. Dabei wurden Menschen verschleppt, entrechtet und ausgebeutet. Ursprünglich war der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte lediglich als vorübergehende Lösung angedacht. Durch den nicht-zeitgenössische Begriff „Zwangsarbeiter“ – im Dritten Reich sprach man meistens von Fremdarbeitern – werden vier Personengruppen unterschieden: erstens Kriegsgefangene, zweitens ausländische zivile Arbeiter, drittens KZ- und Polizeihäftlinge (inkl. Insassen von Arbeitserziehungslagern) und viertens jüdische Häftlinge. Die Übergänge von freiwilliger zu Zwangsarbeit konnten dabei fließend sein. Ein einst freiwillig geworbener Arbeiter, der nach Ablauf seines Arbeitsvertrages in Deutschland bleiben musste, wurde zu einem unter Zwang arbeitenden. Die beiden größten Säulen des Zwangsarbeitereinsatzes bildeten Kriegsgefangene und zivile ausländische Arbeiter. Das Heranziehen der kriegsgefangenen Soldaten war völkerrechtlich durch die Genfer Konventionen aus dem Jahr 1929 geregelt. Danach war der Einsatz von Soldaten mit Mannschaft sgraden in der Rüstungsproduktion untersagt. Bei der Behandlung der Kriegsgefangenen lag eine rassistisch und antisemtische Differenzierung vor. Während westeuropäische Gefangene besser behandelt wurden, hatten sowjetische Kriegsgefangene ein besonders hartes Los zu erdulden – auch deshalb weil die Sowjetunion die Genfer Konventionen nicht ratifiziert hatte. Eine gesonderte Stellung wurde ab September 1943 auch den Italienischen Militärinternierten (IMI) zugewiesen, die rechtlich nicht als Kriegsgefangene eingestuft wurden. Auch im Bereich der zivilen Arbeiter wurde nach völkisch-rassischen und ideologischen Kriterien unterschieden. Während „germanisch stämmige“ Nationen (Niederländer, Flamen, Norweger oder Dänen) einen besseren Status hatten, wurden „Westarbeiter“ aus Frankreich schlechter behandelt. Am unteren Ende der Hierarchie standen Polen und Russen, deren Existenzbedingungen durch die sog. Polen- und Ostarbeitererlasse mit ihren willkürlichen Repressionen, die sie entrechteten und diskriminierten, geregelt wurden. Diese Abstufung wirkte sich je nach ethnischer Herkunft der Menschen gravierend auf deren Arbeits- und Lebensbedingungen, die sich während des Kriegsverlaufs veränderten, aus.

Insgesamt kamen von 1939 bis 1945 rund 13,5 Millionen Menschen – Kriegsgefangene, zivile Arbeitskräfte, jüdische Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge – zur Zwangsarbeit nach Deutschland. Die Mehrzahl stammte aus Polen, der Sowjetunion und der Ukraine – dabei v. a. Frauen. Eine Großzahl – hier meistens Männer – kam aber auch aus Frankreich oder Italien. Vielfach unbeachtet bleibt, dass auch in den durch die Wehrmacht besetzten Gebieten, die unter deutscher Verwaltung standen, zahlreiche Menschen für die deutsche Kriegs- und Ernährungswirtschaft arbeiten mussten.

Forschungsstand zur Zwangsarbeit in Völklingen

In einer Stadt mit kriegswichtigen Produktionszweigen wie Völklingen muss man sich zwangsläufig mit dem Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs auseinandersetzen. Bisher sind die Studien über den Einsatz von ausländischen Arbeitskräft en jedoch ausschließlich auf den damaligen größten saarländischen Industriebetrieb, die Röchling’schen Eisen- und Stahlwerke GmbH (RESW) beschränkt geblieben. Eine Thematisierung des Einsatzes ausländischer Arbeiterinnen und Arbeiter außerhalb der RESW ist so gut wie nicht erfolgt. Auch wenn das Haupteinsatzgebiet ausländischer Arbeiter in Völklingen die Schwerindustrie war, so mussten Fremdarbeiter und Kriegsgefangene auch in anderen ortsansässigen Unternehmen, bei der Stadtverwaltung, der Reichsbahn, den Saargruben und in privaten Haushalten Arbeiten verrichten. Eine gründliche, auf Völklingen eingegrenzte Untersuchung, wie dies 2004 von Fabian Lemmes für Saarbrücken vorgenommen worden ist, liegt bis heute nicht vor.

In der Literatur finden sich bereits einige Anhaltspunkte über den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in Völklingen. In der 1988 eingereichten Diplomarbeit von Hans-Henning Krämer sowie in dem von diesem gemeinsam mit Inge Plettenberg 1992 publizierten Werk „Feind schafft mit“, das zu großen Teilen auf der zuerst genannten Arbeit basiert, lassen sich Aussagen zur Völklinger Situation, v. a. dem Einsatz von ausländischen Arbeitskräft en bei den RESW, ablesen. Bereits in zwei Sammelbandbeiträgen zur Zwangsarbeit im Saarland aus den Jahren 1987 und 1988 hat sich Inge Plettenberg unter anderem mit der Völklinger Situation auseinandergesetzt.

1989 erschien der von Hermann Volk bearbeitete, das Saarland betreff ende vierte Band des „Heimatgeschichtlichen Wegweisers zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945“. Der darin enthaltene Beitrag zu Völklingen setzt sich vornehmlich mit dem Zwangsarbeitereinsatz auf der Völklinger Hütte auseinander, darüber hinaus finden sich vereinzelt Hinweise auf andere Einsatzstätten und Lagernennungen. Auch Hans-Christian Herrmanns Studie über Hermann Röchlings Rolle in der deutschen Rüstungswirtschaft beleuchtet, wie der Industriemagnat durch die Ausübung zahlreicher Ämter maßgeblich auf den Einsatz von ausländischen Arbeitskräften in der Eisen- und Stahlindustrie ein- und v. a. mitwirkte. Dem durch die Gestapo Saarbrücken im Einvernehmen mit den RESW 1943 eingerichteten Arbeitserziehungslager in Etzenhofen ist neben den Aussagen bei Krämer/Plettenberg und Herrmann besondere Aufmerksamkeit zuteilgeworden, zuletzt 2017 auf einer Ringvorlesung beim Weltkulturerbe Völklinger Hütte durch Christian Reuther.

Zu den neuesten Publikationen gehört der Ausstellungskatalog „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“, in dem sich Inge Plettenberg erneut mit der Zwangsarbeiterthematik auseinandersetzt. Der jüngst erschienene erste Band von Hubert Kesternichs Abhandlung über die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Arbeiter der Völklinger Hütte thematisiert ebenfalls die Zwangsarbeit des Unternehmens in beiden Weltkriegen. In einem 2016 publizierten Tagungsband „Die Röchlings und die Völklinger Hütte“ befasste sich Christian Reuther in groben Zügen mit dem Ausmaß und der Entwicklung des Ausländereinsatzes bei den RESW.

Zu erwähnen sind schließlich auch Studien, die sich mit dem Rastatter Prozess gegen Hermann Röchling und vier weitere Vertreter der Führungsetage des Konzerns befassen. Aus französischer Sicht sind drei Aufsätze von Margaret Manale zu nennen, die sich mit dem Weltkulturerbe-Status der Völklinger Hütte und der nicht aufgearbeiteten Geschichte der Familie und des Unternehmens befassen.

Quellenlage

Die Überlieferungslage zur Geschichte der Zwangsarbeit in Völklingen ist sehr heterogen. Die Quellenlage des Stadtarchivs ist, trotz zahlreicher noch unerschlossener Akten, für die Zeit des Dritten Reichs und die Thematik insbesondere relativ gut. Neben einer Akte, die sich mit Vorgängen um die Einrichtung eines Kriegsgefangenenlagers in Völklingen befasst, finden sich Hinweise auf den Einsatzbereich der Kriegsgefangenen. Zentral für die Aufarbeitung des Ausmaßes der Zwangsarbeitergeschichte in Völklingen ist die Überlieferung des Meldeamts. Alte Lagerlisten sowie statistische Mitteilungen über die Bevölkerungsentwicklung liefern Anhaltspunkte über die Dimension des Einsatzes und die Herkunft sländer der ausländischen Arbeitskräfte. Daneben sind große Teile der „Ausländerkarteien“, deren Entstehungszeit zum Teil vor 1945 anzusetzen ist, überliefert. Teilweise beinhalten diese Aufzeichnungen Mehrfachnennungen oder Doppelregistrierungen. In einer heterogenen und sicherlich unvollständigen Kartei, die bspw. verschiedene Nationen enthält, finden sich neben Belgiern, Polen, Serben, Spaniern und Ukrainern, um nur einige zu nennen, auch vereinzelt Franzosen und Italiener wieder, die ebenfalls in der Kartei französischer bzw. italienischer Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter aufgenommen wurden. Dabei können die Karteien unterschiedliche Informationen liefern und die verschiedensten Auswertungsmöglichkeiten bieten.

Von der Überlieferung des Standesamts können die Sterberegister ausgewertet werden. Für die noch nicht nach Archivrecht zugänglichen Geburtenbücher bieten stellenweise die Völklinger Zeitungen Abhilfe, da dort in regelmäßigen Abständen Nachrichten aus dem Standesamt publiziert wurden. Eine aus der Provenienz des Beauftragten des Kreisjugendamtes der Stadt Völklingen stammende Akte befasst sich mit unehelichen Kindern ausländischer Arbeitskräfte. Die Zeitungsbände geben überdies nur sehr vereinzelt Einblick in weitere Aspekte zur Geschichte der Zwangsarbeit.

Aus dem Aktenmaterial der Stadtkasse liefern die Rechnungsbelege für die Rechnungsjahre 1940 bis 1944 aufschlussreiche Informationen zum Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in Völklingen, v. a. hinsichtlich der dem städtischen Fuhrpark unterstehenden Kriegsgefangenen und der den städtischen Dienststellen zugewiesenen zivilen Arbeiter.

Aus den erhaltenen Unterlagen des Hauptamts liefern die Lageberichte des Bürgermeisters der Stadt Völklingen an das Amt für Kommunalpolitik der NSDAP-Kreisleitung und den Saarbrücker Landrat wertvolle Einblicke in die Entwicklung des Einsatzes ausländischer Arbeitskräft e während der Jahre 1940 bis 1944.

Bedeutsam für die Ausarbeitung der Geschichte der Zwangsarbeit ist auch die Nachkriegsüberlieferung. Aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammen Aufstellungen der in Völklingen eingesetzten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, die im Zusammenhang der Suchaktionen der französischen Militärregierung 1945 und in den folgenden Jahren angelegt wurden. Dabei musste die kommunale Verwaltung der Besatzungsbehörde Angaben über Namen, Geburtsdaten sowie -ort, Aufenthaltsdauer, Arbeitgeber, Unterbringung und sonstige Bemerkungen (z. B. Todesangaben) machen. Außerdem liegen solche Listen für das Steinkohlenbergwerk Geislautern vor, zu dem die Gruben Velsen und Luisenthal zählten. Sehr aufschlussreich ist eine Akte, die im Zusammenhang mit dem sogenannten Koenig- Befehl vom 6. Dezember 1945 entstanden ist. Darin enthalten sind Angaben verschiedener Unternehmen über die von ihnen eingesetzten ausländischen, zivilen und kriegsgefangenen Arbeitskräfte, Beurkundungen von Sterbefällen und Gräbern, noch im Völklinger Stadtbezirk wohnhaft er Ausländer und amerikanischer Kriegsgefallener.

Ergänzt wird diese Nachkriegsüberlieferung durch die Suche und Erfassung von Gräbern ausländischer Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Kriegsgefangener und Gefallener. Eine Akte befasst sich mit der Auszahlung ausstehender Löhne an ehemalige ausländische Arbeiter. Hier werden viele Personen namentlich genannt. Vereinzelt stößt man in anderen Akten auf Dokumente zur Völklinger Zwangsarbeitergeschichte.

Zum Zwangsarbeitereinsatz auf der Hütte wurden Unterlagen des alten Werksarchivs ausgewertet. Hier finden sich wenige Akten, die sich explizit mit dem Einsatz fremdländischer Arbeiter während des Zweiten Weltkrieges befassen. Allerdings liefern andere Akten wie etwa Betriebs- und Geschäftsberichte oder Unterlagen zu den Aufsichtsratssitzungen immer wieder Anhaltspunkte über die Dimension des Fremdarbeitereinsatzes auf der Völklinger Hütte. Der Hauptteil der alten Akten des Unternehmens wanderte in der Nachkriegszeit im Zuge der Prozessvorbereitungen durch die französische Anklagebehörde nach Frankreich. Sie werden heute in den Archives Nationales im Bestand BB 36 verwahrt. Darin ist unzähliges Schrift gut der verschiedensten Abteilungen und Betriebe der RESW erhalten, das zur Rekonstruktion des Zwangsarbeitereinsatzes auf der Völklinger Hütte herangezogen werden kann.

Ergänzt wurde das Material durch Archivalien des Landesarchivs des Saarlandes, des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden, des Stadtarchivs Mainz, des Landeshauptarchivs Koblenz, des Generallandesarchivs Karlsruhe und des Bundesarchivs mit seinem Standort in Freiburg (Militärarchiv).